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Alles meins. Die reiche Ex-Miss-America, Protagonistin von Lauren Greenfields „The Queen of Versailles“. Foto: Frauenfilmfestival/MG 0534

© Lauren Greenfield

Internationale Frauenfilmfestival: Bis die Bankenblase platzt

Das Internationale Frauenfilmfestival in Dortmund feiert programmatisch den Exzess.

Die Sache mit den Fahrrädern wird hoffentlich bald Nachahmer finden. Denn sie ist fantastisch. Massenweise stehen die Dinger beim Internationalen Frauenfilmfestival in Dortmund vor den Kinos für die Akkreditierten bereit. Code eingeben, rauf auf den Sattel und los. An der Klimabilanz des Festivals dürfte das zwar nur wenig ändern, schließlich wären die meisten Gäste sonst schlicht von einer Spielstätte zur nächsten gelaufen. Doch die Räder, die sind cooler.

Die kleine Transportrevolution passt zum Selbstverständnis eines Festivals, das sich als gesellschaftlicher Akteur begreift und das Filmezeigen mit anderen Ausdrucksformen mischt. Seit 2006 findet die aus Festivals in Dortmund und Köln fusionierte Veranstaltung jährlich alternierend in beiden Städten statt. Dabei wird in Dortmund neben dem Wettbewerb für Spielfilmregisseurinnen – Gewinnerin der starken Auswahl ist diesmal Berlinale-Teilnehmerin Malgoska Szumowska mit „In the Name of“ – seit 2011 auch ein Ehrenpreis für ein dokumentarisches Lebenswerk vergeben. Er geht an die niederländische Regisseurin Heddy Honigmann. Sie zeigt sich zwar beglückt und dankbar, nutzt die Gelegenheit aber auch, um den materiellen Abstand der mit 10 000 Euro dotierten Auszeichnung zum Spielfilmpreis (25 000 Euro) zu bemängeln.

Manche meinen, die Idee des Frauenfilmfestivals sei überholt. Doch das ist sie so lange nicht, wie Filme von Frauen und damit ihre Stoffe und Erzählweisen nicht angemessen bei den großen Festivals präsent sind. Auch deshalb treffen sich Lobbyistinnen aus aller Welt in Dortmund. Doch die Vernetzung ist hier nicht das einzige Motiv. Kontinuierlich wird über geschlechtsspezifische Themen debattiert, in Dortmund jedes Mal unter einem neuen Motto. Hieß es vor zwei Jahren noch ziemlich aktivistisch „Was tun – Filme zur Situation“, geht es jetzt, wie beim Potsdamer Studentenfestival „Sehsüchte“, eher beobachtend um den „Exzess“ als Symptom für einen Weltzustand.

Dabei treffen Bunga Bunga, Korruption und maßlose Bereicherung auf künstliche Sparprogramme, Hunger und Lebensmittelvernichtung, den Blick auf Stöckelschuhsammlungen durchaus eingeschlossen. Lauren Greenfields „The Queen of Versailles“ ist der dafür exemplarische Film: Die Dokumentation erzählt von einer ehemaligen Miss America und einem Immobilienmilliardär. Für sich und ihre acht Kinder wollen sie in Florida die größte Villa der USA bauen, doch dann platzt mit der Bankenblase auch ihr persönlicher Traum. Auf den Exzess an Reichtum folgt eine Implosion, wobei sich die Villa des Paars in eine seelische und materielle Trümmerlandschaft verwandelt.

Auch eine schöne Tradition in Dortmund: Der Blick geht nicht nur über das Kino hinaus in die Welt, sondern auch aus dem aktuellen Filmschaffen zurück in die Filmgeschichte. In Sachen „Exzess“ wurde Kuratorin Betty Schiele reichlich fündig, nicht überraschend auch in der frühen Kinozeit. So wird zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals endlich die bedeutendste Ikone weiblichen Filmschaffens gewürdigt: Alice Guy ist neben den Herren Méliès und Lumière die dritte Zentralgestalt aus den Anfängen des Kinos, doch anders als ihre Kollegen wurde sie bis heute trotz wiederholter filmfeministischer Erweckungsversuche von der geläufigen Filmgeschichtsschreibung kaum beachtet.

Guy hatte 1896 als Sekretärin bei der Produktionsfirma Gaumont angefangen und schaffte es dort auch hinter die Kamera – unter der strengen Auflage, dabei den eigentlichen Job an der Schreibmaschine nicht zu vernachlässigen. Da schon ihr erster Film ein enormer Erfolg war, erweiterte sich ihr Betätigungsfeld bald beträchtlich. Bis 1920 sollte Guy etwa 1000 kurze und lange Filme drehen, bevor die Neuorientierung der internationalen Filmbranche nach dem ersten Weltkrieg auch sie aus dem Markt drängte.

Exzessiv war die in allen Genres arbeitende Guy nicht nur in ihrem Durchsetzungswillen, sondern auch bei der Wahl ihrer komischen Stoffe, die auf serielle Steigerung und Wiederholung setzten. Ein Geniestreich nennt sich ironisch „Les Résultats du Féminisme“ (1906) und spielt auf eindrücklich schlichte Art das Sujet Geschlechterrollentausch durch. Während sich die Matronen genüsslich in der Kneipe verlustieren, wird ein Ehemann nach dem anderen mit den Kindern an der Hand vorstellig, um sie nach Hause zu locken.

Das Amalgam von Alt und Neu ist ein besonders produktives Element der Dortmunder Mischung. Doch bei den erfreulich vielen historischen Programmen wird auch eine Schattenseite der Digitalisierung der Archive sichtbar. Denn neue digitalisierte Formate führen zunehmend dazu, dass nur noch diese statt der Zelluloidkopien herausgegeben werden – mit untauglichem visuellen Ergebnis. Krasses Beispiel: die Vorführung des großartigen dramatischen Stummfilms „Rapsodia Satanica“ (R: Nino Oxilia), dessen spektakuläre Farben und sinnliche Materialität Karola Gramann in ihrer Einführung herausstellt. Doch in der von der Cinémathèque Française zur Verfügung gestellten Digi-Beta-Version ist davon nichts zu sehen.

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