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Interview: Der Spurensucher Jordi Savall

Ein Gespräch mit dem Musiker Jordi Savall, der historischer Musik eine neue Bedeutung gibt.

Jordi Savall ist viel zu verdanken. Seit über 30 Jahren ist der 68-jährige Katalane unermüdlich mit der Suche, dem Studium und der Einspielung alter Musikschätze beschäftigt. Für die Neubewertung historischer Musik und deren Aufführungspraxis sind seine Verdienste nicht genug zu loben. Im Rahmen der Musikfestspiele war der vor allem durch sein Spiel auf der Gambe bekannte Savall zusammen mit dem Percussionisten Pedro Estevan in der Friedenskirche, um die musikalischen Verbindungen zwischen Morgen- und Abendland aufzuzeigen. Und obwohl seine Anreise sehr anstrengend war, fünf Stunden hatte Savall in Barcelona auf dem Flughafen verbringen müssen, nimmt er sich nach dem Konzert Zeit für ein Gespräch. Aber bitte nicht zu lange, im Hotel wartet auf ihn ein Teller mit Beelitzer Spargel.

Herr Savall, ein wirklich äußerst exotisches Streichinstrument aus dem arabischen Raum, diese Rebab, auf dem Sie in Potsdam gespielt haben.

Dieses Instrument, auf dem ich heute Abend gespielt habe, stammt aus einem Antiquariat in Basel. Dort habe ich es zu einem ganz besonderen Preis bekommen, weil es schon so beschädigt war und in diesem Zustand eigentlich nur noch zur Wanddekoration getaugt hätte. Aber ich habe sofort erkannt, dass dieses Instrument ein enormes Potenzial hat.

Sie wollen sagen, dass ein Instrument aus einem Antiquariat in Basel, das nur noch als Wanddekoration taugte, Ihr Interesse für die arabische Musik geweckt hat?

Natürlich nicht. Das Instrument habe ich schon in den 70er Jahren entdeckt. Das war die Zeit, als wir mit unserem Ensemble Hespèrion angefangen haben. Wir haben damals auch begonnen, nach Instrumenten zu forschen. Wir sind nach Griechenland gereist, nach Israel und Marokko und Algerien. In diesen Ländern habe ich mir verschiedene Rebabs gekauft.

Haben Sie die Ähnlichkeiten, die zwischen den arabischen und europäischen Streichinstrumenten und deren Musik besteht, damals überrascht?

Ja, das hat mich schon überrascht. Aber während unserer Forschungen konnten wir schnell diese Verbindungen nachweisen, die durch die früheren Musiker entstanden sind. Die kamen von Persien und Nordafrika zu uns nach Europa und brachten ihre Instrumente mit.

Woher dieses Interesse, sich mit dieser fremdländischen Musik zu beschäftigen?

Ich komme aus Spanien, Katalonien, einem Land mit einer sehr langen Tradition und vielen multikulturellen Einflüssen. Es gibt in der katalanischen Volksmusik gleiche Tonarten wie in der orientalischen Musik, da sind so viele Verbindungen. Und je mehr man forscht, umso mehr ist zu finden. Es gibt beispielsweise die Beschreibungen von Indianertänzen aus der Neuen Welt aus dem 16. Jahrhundert, in denen der Chronist über die Musik schreibt, sie sei so lebendig und so reich und so verrückt, dass sie nur mit den verrückten Tänzen der Araber in Andalusien zu vergleichen sei.

Das Motto der Musikfestspiele ist „Sehnsucht nach der Ferne“. Oft ist die Musik aber auch Ausdruck einer „Sehnsucht nach Heimat“, die verlorengegangen ist.

Ja, denn Musik entsteht oft in dramatischen Situationen. Nehmen wir die Juden, die immer wieder vertrieben wurden, auch aus Spanien. Sie haben alles verloren. Doch ihre Musik konnten sie mitnehmen. Und durch ihre Musik konnten sie wieder ein wenig Hoffnung haben. Sie half ihnen, etwas Freude zu empfinden. Darum hat diese Musik eine solche unglaubliche emotionale Dimension. Und eine einfache Melodie kann in uns oft mehr auslösen, als ein ganzes Orchester oder eine Sinfonie.

Wobei das auch immer vom Musiker abhängt.

Und auch vom Ort.

Vom Ort?

Ja, diese Friedenskirche ist ein Geschenk. Für einen Musiker ist die Akustik so wichtig wie für uns alle das Atmen. Und bei einer solchen Akustik wie hier, ist es eine Freude zu spielen. Ich sage immer, dass in Kirchen die Steine voller Musik sind. All die Musik, die in den Jahren hier gespielt und gesungen wurde, ist in den Steinen aufgefangen. Und das spüre ich als Musiker.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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