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Andres Veiel

© ddp

Interview: Deutscher Beton

Black Box RAF: Der Filmemacher Andres Veiel spricht im Interview über den Deutschen Herbst, Gnade und Korpsgeist.

Herr Veiel, alle reden über Christian Klar. Über Birgit Hogefeld, deren Gnadengesuch ebenfalls abgelehnt wurde, spricht keiner. Liegt das daran, dass sie „erst“ seit 14 Jahren im Gefängnis sitzt?

Birgit Hogefeld hat ihren Antrag im Schatten der Öffentlichkeit gestellt, er war nicht bekannt. Deshalb wird ihr Fall jetzt wie eine Fußnote zum Fall Klar behandelt. Ich bedaure das sehr, denn sie war eine der ersten in der RAF, die bereits kurz nach ihrer Festnahme begonnen hat, radikal mit dem eigenen Tun abzurechnen. Sie hat sehr früh „Ich“ gesagt, während Christian Klar noch sehr lange am kollektiven „Wir“ festhielt. Während ihres Prozesses hat sie die Taten der RAF, auch den ihr vorgeworfenen Mord am amerikanischen Soldaten Pimental, als „grauenvoll“ beschrieben; den Anschlag auf die US-Airbase nannte sie „zutiefst unmenschlich“ und sprach von einem Irrweg. Damit hat sie sich auch von einer damals noch breiteren Unterstützer-Szene distanziert und mit dazu beigetragen, dass die RAF sich 1998 aufgelöst hat.

Heißt das, sie zeigt jene Reue, die von Christian Klar jetzt eingefordert wird? Sie haben sie bei den Recherchen zum Film und zum Buch „Black Box BRD“ getroffen.

Ich sehe sie auch nach wie vor in der Vollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim. Die Reue war bei ihr kein Lippenbekenntnis. Sie hat sich direkt nach dem Prozess mit den Brüdern des RAF-Opfers Gerold von Braunmühl getroffen und nach deren Aussagen kein Bußritual absolviert, sondern sich mit ihrer eigenen Biografie ehrlich auseinandergesetzt, mit ihrer Haltung, die dazu führte, dass sie Mitglied der RAF wurde. Es ist bedauerlich, dass der Bundespräsident nicht auch mit Birgit Hogefeld persönlich gesprochen hat. Moralische Kategorien wie Reue und Scham kann man nur im persönlichen Gespräch klären. Wenn sich jemand von dem sektenartigen Denkgebäude, in dem er sich Jahrzehnte bewegt hat, freizumachen versucht, stellt das zehn, zwanzig Jahre des eigenen Lebens infrage. Das sind schwierige, intime Prozesse, die nicht in öffentlichen Satzmustern zu fassen sind.

Was bringt die aktuelle RAF-Debatte?

Die mediale Erinnerungswelle bekommt immer mehr Eventcharakter. Dass der Mythos RAF weiter aufrechterhalten wird, dafür gibt es mehrere Ursachen, auf Seiten des Staats, der RAF und der Öffentlichkeit. Klaus Bölling, der im Krisenstab saß, sagt, damals hätten Weimarer Verhältnisse gedroht. Er braucht den Mythos RAF immer noch, um die Härte der staatlichen Reaktion zu rechtfertigen. Beide Seiten hatten ein Interesse, den Mythos zu nähren. Die Arbeit der Entzauberung müsste jetzt endlich geleistet werden. Aber man bleibt lieber dem alten Schlagabtausch verhaftet. Wenn Jan Philipp Reemtsma die RAF auf eine Gruppe von machtlüsternen Kriminellen reduziert, blendet er ihre politischen, atmosphärischen und historischen Ursachen aus.

Warum klammert sich auch die Öffentlichkeit an den Mythos RAF?

Weil man nicht gerne die eigene Biografie infrage stellt. Warum hatten die Terroristen so viele so genannte Sympathisanten am Haken? Warum sagten 1971 17 Prozent der Bevölkerung: Selbstverständlich würden wir Andreas Baader oder Gudrun Ensslin ein Quartier anbieten, ohne die Polizei zu verständigen? 17 Prozent von 60 Millionen Bundesbürgern, das sind 10 Millionen Menschen! Wo sind die heute, warum wollen die das Thema wegschließen? Die RAF-Debatte kreist hysterisch um die eigentlichen Fragen. Anstelle von Ursachenforschung gibt es einen Alibi-Hype. Es wird viel geplappert und wenig geredet, man wiederholt die alten Bilderschleifen.

Gerhart Baum, damals Innenminister, spricht von der Magie der RAF-Bilder.

Die gab es bis in die dritte RAF-Generation hinein. Alfred Herrhausen wurde nicht im Wald beim Joggen erschossen, man wählte bewusst ein Statussymbol und zerstörte seinen Mercedes. Die RAF hat die Attentate immer als Medium der Massenkommunikation verstanden.

Genauso laut ist aber auch ihr Schweigen.

Es ist ein sehr deutsches Schweigen, das etwas mit der Tradition des Kadavergehorsams zu tun hat, mit preußischem Korpsgeist. In Italien hat ein Rotbrigadist wie Mario Moretti schon 1993 seine unmittelbare Tatverantwortung für die Ermordung von Aldo Moro bekannt. Er habe über sechs Wochen eine sehr persönliche Beziehung zu Moro als einem von allen, auch von der Politik verlassenen Menschen aufgebaut und ihn dann erschossen – dieser Grundwiderspruch von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit habe den Roten Brigaden die Legitimation entzogen. Moretti bringt die Motive zur Sprache – er war kein kranker Irrer – und räumt zugleich den eigenen mörderischen Irrtum ein. Davon sind die RAF-Mitglieder noch sehr weit entfernt.

Ihr – auch verfilmtes – Doku-Theaterstück „Der Kick“ handelt vom Mordfall in Potzlow, „Black Box BRD“ von der RAF und ihren Opfern. Haben rechte Gewalt und linker Terror etwas gemeinsam?

Wer sich mit Täter-Biografien beschäftigt, begreift – bei aller Unvergleichbarkeit der Phänomene – den traumatisierenden Einfluss der deutschen Geschichte. Wer massiv Gewalt ausgeübt hat, etwa in der NS-Zeit, hat eine entwertete Biografie. Diese Beschädigung wurde über Generationen weitergegeben, teils bewusst, teils indem geschwiegen wurde. Mit dieser Beschädigung müssen wir uns auseinandersetzen, sowohl bei rechter Gewalt, als auch bei der Geschichte der RAF. Die zweite Parallele ist die Gewaltspirale. Gewalttaten geschehen nicht selten in Gruppen, in denen der eine dem anderen beweisen will, dass er noch härter zuschlagen kann. Es gibt eine Art Wettbewerb, das Opfer nicht mehr als Mensch zu sehen, sondern auf seine Funktion zu reduzieren, einen Männlichkeitskult, den auch Frauen gerne übernehmen.

Ist auch das etwas sehr Deutsches?

Vielleicht die Unerbittlichkeit, mit der man nicht aussteigt. Ich bin bei den Recherchen auf sehr viel deutschen Beton gestoßen, auf das Schweigen der RAF ebenso wie auf die fünffach betonierten Schichten in Potzlow, vom Schweigen über das „Dritte Reich“ und die russische Okkupation über Stasi-Vergangenheiten bis zum Mord der Jugendlichen. Man ist das Produkt seiner Verhältnisse. Dass man sein Leben auch selbst gestalten kann, kommt in diesem betonierten Denken nicht vor.

– Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Der Dokumentarist Andres Veiel, Jg. ’59, lebt in Berlin. Nach „Black Box BRD“ und „Die Spielwütigen“ drehte er „Der Kick“. Sein aktuelles Spielfilmprojekt: „Vesper, Ensslin, Baader“.

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