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Zeremonienmeister. Ricardo Villalobos, 40, in Chile geboren und in Deutschland aufgewachsen, ist einer der bekanntesten DJs der Welt. In Berlin legt er regelmäßig im Berghain auf. Foto: p-a/dpa

© picture-alliance/ dpa

Interview: „Ich bin viele Musiker“

Jazz trifft Beats: Techno-DJ Ricardo Villalobos über sein Ambient-Album "Re:ECM"

Herr Villalobos, wie kamen Sie und Max Loderbauer dazu, Jazzmusik des legendären Münchner Labels ECM mit elektronischen Klängen zu verbinden?

Wir kennen ECM schon sehr lange, als Plattensammler sowieso. Das Label hatte einen großen Einfluss auf mich. Man sucht ja immer Dinge, um die Clubmusik interessanter zu machen, um auf einer Gefühlsebene eine Variation zu finden. Irgendwann habe ich angefangen, ECM-Sachen in meine DJ-Sets reinzumischen.

Wie steht ECM-Gründer Manfred Eicher zu dem Projekt?

Nach den ersten fünf Stücken kam Eicher ins Studio. Er war recht angetan und hat gesagt, wir könnten aus dem ECM-Katalog alles verwerten, was wir wollen.

Auch Arvo Pärt?

Ja, klar.

Warum ist „Re:ECM“ keine Technoplatte geworden?

Es ging darum, den Raum, den ECM bietet, mit dem der elektronischen Musik zu kombinieren. Bei 4-to-the-floor-Stücken hast du ja immer vier gleiche Räume zwischen der Bassdrum. Und wenn du einen Techno-Beat von 128 Beats per Minute hast, dann bleibt dazwischen eben nicht mehr sehr viel Platz für die Dynamik. Deswegen sind die Beats auf unserer Platte oft gebrochen und halb so schnell.

Neuerdings veröffentlichen etliche elektronische Musiker Platten mit Klassikbearbeitungen, darunter Jimi Tenor, Matthew Herbert und Carl Craig. Warum dieser Trend?

Das sind Marketingideen. Die Plattenfirmen wollen neue Marktfelder erschließen. Sie wollen Hörerschaften, die nur Clubmusik hören, mit Klassik-Hörerschaften vermischen.

Passt Klassik überhaupt zu Clubmusik?

Nicht unbedingt. In der Anfangszeit des Samplers gab es Clubmusik mit StringSamples und Orchesterhits. Es gab auch Rondo Veneziano. Aber es ist schwer, das sinnvoll miteinander zu kombinieren. Das Verlangen nach Melodie ist im Clubkontext ja recht groß, weil dort der Rhythmus maßgeblich ist und die Melodien teils sehr einfallslos sind. Das macht es für einen DJ interessant, nicht einfach nur Rhythmus abzufeuern.

Sie haben vor zwei Jahren für die „Recomposed“-Reihe der Deutschen Grammophon aus einem Stück aus Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ einen Minimal-Track gemacht. Wie sind Sie da rangegangen?

Das war nicht einfach. Man muss die Sachen mit Respekt behandeln, es muss einen Sinn ergeben, wenn man mit Samples und der Rhythmisierung der Klassikparts umgeht. Es darf nicht cheesy sein.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit klassischer Musik?

Als Hörer schon mein Leben lang. Meine Eltern haben sehr viel Klassik gehört.

Elektronische Musik inspiriert Sie weniger als andere Musikrichtungen ...

Ich beschäftige mich zum größten Teil mit elektronischer Musik, weil ich DJ bin. In letzter Zeit höre ich aber verstärkt Jazz, Klassik und andere Musik. Man muss universell interessiert sein.

Bereuen Sie es immer noch, dass Sie nie Klavier- oder Gitarrespielen gelernt haben?

Heute nicht mehr so sehr. Ich hätte es um ein Haar gelernt: Mit acht oder neun hatte ich so eine Bontempi-Orgel. Da habe ich einige Zeit drauf gespielt, zu Weihnachten und so. Aber dann ist meiner Mutter eine Terpentinflasche auf die Orgel gefallen, und die Tastatur hat sich leider verflüssigt. Meine Eltern haben keine neue gekauft, obwohl ich schon drei Jahre gespielt hatte. Ich glaube, mein Vater wollte auch nicht, dass ich Unterricht nehme, weil seine beiden Geschwister früher immer geübt haben, Gitarre und Klavier. Das hat ihn total genervt. Mit 13, 14 habe ich dann angefangen, Percussion und Schlagzeug zu spielen.

Sie sind auch ohne Klavier ein erfolgreicher Musiker geworden ...

Es geht darum, eine Sprache zu finden, um sich mit Musik auszudrücken und dass man als Sender einen Empfänger findet. Als DJ spielt man in gewisser Weise auch ein Instrument. Oder man macht im Studio elektronische Musik und versucht, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen Bass, Hi-Hats und Melodie-Instrumenten. Dabei schlüpft man in die Rolle von verschiedenen Musikern. Aber es ist natürlich förderlich, auch ein richtiges Instrument zu spielen.

Ihre DJ-Sets sind oft ein Stück weit experimentell, mal ist Jazz zu hören, mal afrikanische Trommeln, traditionelle Gesänge – wie wichtig ist es Ihnen beim Auflegen, dem Publikum auch etwas zu vermitteln, über den Aspekt der Unterhaltung hinaus?

Man hat eine Art Lehrerrolle, ja. Einen guten Lehrer zeichnet es aus, dass er über den normalen Lehrplan hinausgeht, auch individuell auf Schüler eingeht. Man hat eine Vermittlerrolle, man muss eine Sprache finden, die verstanden wird. Man muss sich da selber auch als Tänzer sehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass man seine Lieblingsmusik spielt, und das fressen dann alle. Es geht darum, diese vereinfachte Situation im Club, die viele Leute zusammenbringt, mit etwas auszuschmücken, das darüber hinausgeht. Wenn dir das gelingt, untermauert das auch deine Position als DJ.

Das Gespräch führte Jakob Buhre. Ricardo Villalobos’ und Max Loderbauers „Re: ECM“ erscheint bei Universal/ECM. Live im Berghain, Do, 7. Juli, 21 Uhr

Jakob Buhre

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