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Dani Karavan

© Mike Wolff

Interview: Meine Mahnmale sind Spielplätze

Eine Retrospektive im Martin-Gropius-Bau zeigt die Werke von Dani Karavan. Der israelische Bildhauer im Gespräch über Kunst und Trauer.

Herr Karavan, nach Tel Aviv zeigen Sie Ihre große Retrospektive nun in Berlin im Martin-Gropius-Bau, gleich neben der Topographie des Terrors. Welches Verhältnis haben Sie zu Deutschland?

Es gab eine Zeit, da habe ich jegliche Beziehung zu Deutschland abgelehnt. Als ich aber 1977 zur Documenta 6 eingeladen wurde, musste ich zusagen, denn trotz der Gestaltung der Knesset-Wand und des Nationalpreises war ich in der Kunstwelt Israels nicht akzeptiert. Die Documenta-Einladung bedeutete für mich internationale Anerkennung. In Kassel lernte ich Menschen kennen, durch die sich mein Blick auf Deutschland änderte, allen voran Documenta-Chef Manfred Schneckenburger, der die Atmosphäre eines Kibbuz verbreitete und im Büro auf einer Matratze schlief.

Sie werden in Berlin das Mahnmal für die Sinti und Roma unweit des Reichstags gestalten. Wann wird es denn fertig sein?

Seit Jahren heißt es: In zwei, in vier Wochen geht es los. Deshalb ist diese „Hommage für die Opfer“, wie ich es nenne, auch nicht in der Ausstellung zu sehen. Ich zeige nur vollendete Werke. Es ist für mich ein sehr wichtiges Projekt, denn diese Menschen leiden seit Jahrhunderten, heute noch, und sollten wirklich einen Ort der Erinnerung bekommen. Wären es nicht die Sinti und Roma, hätte ich schon längst aufgegeben.

Vielleicht befördert Ihre Ausstellung die Vollendung.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass Einweihung und Ausstellung zusammenfallen. Vor einem halben Jahr, als ich auf den Baubeginn drängte, war noch kein Kompromiss beim Text gefunden. Und jetzt bin ich selbst zu beschäftigt mit anderen Projekten.

Seit über 40 Jahren bauen Sie Mahnmale und Gedenkstätten. Konnten Sie damit etwas bewirken?

Das weiß ich nicht; ich habe das nie untersucht. Da ich Auftragsarbeiten ausführe, habe ich mir die Projekte auch nie selber ausgesucht. Die Bezeichnungen Gedenkstätten mag ich ohnehin nicht; ich nenne sie lieber Hommagen. Die meisten Arbeiten sind ohnehin eher Environments, die mit Erinnerung zu tun haben.

Ihre künstlerische Arbeit ist immer mit sozialem Engagement einhergegangen. Woher kommt Ihre Unverdrossenheit?

Vermutlich resultiert das aus der ha-Shomer ha-Tsa’ir-Jugendbewegung, der ich mich als 16-Jähriger angeschlossen habe. Gemeinsam gründeten wir den Kibbuz Harel. Dort wurde ich sensibilisiert, ebenso durch meine Eltern, die damalige Atmosphäre in Israel. Ich hatte das Glück, in eine Zeit hineingeboren zu sein, in der es ein größere Freude war zu geben, als zu nehmen. Außerdem bin ich ein Linker, ein Sozialist. Wir kämpfen für die Rechte der Palästinenser, der Araber.

Würden Sie sich als Träumer oder als Realist bezeichnen?

Zuallererst bin ich ein Träumer. Niemand kann ohne Träume leben. Sie stehen für die optimistische Hoffnung, weiter zu gehen, etwas besser zu machen. Obwohl ich auch Albträume kenne, nach alldem, was ich gesehen habe. Aber ich versuche die Hoffnung hochzuhalten.

Wie gelingt Ihnen das in Ihren Werken?

Die meisten meiner Werke beschäftigen sich mit Menschen. Für sie mache ich meine Arbeiten, die zu dem Ort gehören, an dem sie entstanden sind, zu den Menschen, die dort leben. Ich trage eine Verantwortung, dass sich die Besucher wohlfühlen – selbst an Orten, wo sie zunächst einen großen Druck spüren. Bei mir gibt es stets eine Öffnung des Blicks: um sich selbst zu entdecken im Zusammenhang mit der Umgebung, mit der Natur.

Hätten Sie nicht auch einen anderen Beruf ergreifen können, den des Politikers?

Ich wäre in keinem anderen Beruf so erfolreich gewesen. Aber in der Art wie ich agiere, handle ich oft wie ein Politiker: Ich kämpfe für Menschenrechte, die Erhaltung des Kulturerbes und verwandle durch meine Environments einen Ort in eine politische Stätte.

Sie haben weltweit Plätze gestaltet. Welches Werk ist Ihr bedeutendstes?

Das wäre, als würden sie mich fragen, welche meiner drei Töchter, die zur Ausstellungseröffnung nach Berlin kommen, ich am meisten liebe. Meine Arbeiten sind wie meine Kinder, die ich zurücklasse – in Japan, Korea oder Spanien. Sie sollten sich hinterher für nichts entschuldigen müssen – etwa weil zu wenig Geld da war oder die Zeit nicht reichte. Schließlich kann ich sie nicht mehr verstecken. Manchmal schlafe ich nächtelang nicht, weil ich mir unsicher bin – selbst dann, wenn eine Arbeit bereits abgeschlossen ist.

Wie schaffen Sie es, sich immer wieder neu der Trauer zu stellen?

Zum einen fühle ich mich wie ein Schneider, der die Maße für den bestellten Anzug genau kennt, den Anlass, die finanziellen Möglichkeiten. Zum anderen empfinde ich mich als Arzt, der gerufen wurde. Deshalb nehme ich auch an keinen Wettbewerben teil, denn ich erarbeite meine Environments im Dialog, mit den Menschen, dem Ort. Werde ich um ein Memorial gebeten, schlage ich dem Auftraggeber gern einen Garten vor. Meine Memorials lösen nie Trauer aus, eher Freude. Es sind lebendige Orte, an denen Kinder spielen können.

Sind Sie ein religiöser Mensch?

Unglücklicherweise glaube ich nicht an Gott. Ich komme aus einer Familie von Atheisten. Aber die Bibel hat mich beeinflusst. Die meisten meiner hebräischen Titel stammen aus der Bibel. Kleinere Werke nenne ich gern Tempel oder Heiligtum, warum auch immer. Ein Freund nannte mich mal religiös, aber im Sinne einer sehr eigenen Religion, die nichts mit Gott zu tun hat. Wenn ich eine Religion hätte, dann die des Humanismus.

Wie ist es für Sie als Outdoor-Künstler, nun in einem Museum auszustellen?

Auch die Ausstellungen sind meist Aufträge. Aber manchmal möchte ich eben auch zeigen, was ich bisher gemacht habe. Das ist mit ortsspezifischen Arbeiten sehr schwierig, denn bei den Environments wird der Betrachter Teil der Arbeit. In diesem Sinne bin ich ein figurativer Künstler.

Sind Sie nicht eher Minimalist oder Konzeptualist?

Ich gehöre keiner speziellen Richtung an, auch wenn die verschiedenen Einflüsse bei mir vorkommen: Minimalismus, Landart, Environment, architektonische Skulptur, die heute wichtig geworden ist, aber die es bei mir schon seit den Sechzigern gibt. Das Gleiche gilt für die Gartenskulptur. Damals verstanden die Leute das nicht und lehnten es ab. Ich war immer ein Außenseiter.

Sie arbeiten vornehmlich mit Kubus, Quader, Zylinder, Pyramide und Kugel. Warum die abstrakten Formen?

Ich fange immer mit den Formen an, nie mit Ideen. Früher standen am Anfang noch Geschichten, die ich illustriert habe. Heute gehe ich vom Ort aus, wie beim Meeresstrudel des Walter-Benjamin-Monuments in Portbou. Die Dinge kommen aus der Natur. Auch Chillida hat so gearbeitet. Die geometrischen Formen wähle ich intuitiv. Vielleicht weil die Natur schon so reich ist an organischen Formen und sich nur noch Kontrapunkte hinzufügen lassen. Dadurch verstärkt man die Natur und die eigene Arbeit.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

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