zum Hauptinhalt
Bei den Untertanen. Friedrich II. inspiziert die im Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) zerstörte Stadt Küstrin. Gemälde von Carl Röchling (1855 - 1920).

© picture alliance / Artcolor

Interview mit Friedrich-Biograf: Preußenkönig Friedrich II: Die Geschichte, das bin ich

Das Friedrich-Jahr beginnt: Im Tagesspiegel-Interview spricht der Biograf Jürgen Luh über die Kriege, die Selbstinszenierung und die Sexualität des Preußenkönigs, der das Risiko liebte.

Jürgen Luh, geboren 1963, ist Historiker bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und Mitorganisator der Ausstellung „Friederisiko“ (ab 28. April im Neuen Palais und Park Sanssouci). Seine Biografie „Der Große. Friedrich II. von Preußen“ ist im Siedler Verlag erschienen. Friedrich wurde vor 300 Jahren, am 24. Januar 1712, in Berlin geboren.

Herr Luh, Sie haben Ihr Buch über Friedrich II. „Der Große“ genannt. Was macht seine Größe aus? Dass er groß sein wollte, und dass er dieses Ziel so hartnäckig verfolgt hat. Diesem Bestreben hat er alles untergeordnet. Friedrich wusste auf der Klaviatur dessen, was wir heute Public Relations nennen, sehr intelligent zu spielen. Das Bild seiner Größe hat 300 Jahre gehalten, das ist eine stolze Leistung.

Friedrich wurde für Sie vor allem davon angetrieben, Ruhm zu erlangen, „gloire“, wie er sagte. Was unterscheidet ihn etwa von Ludwig XIV., der sich zur Sonne Frankreichs stilisierte?

Der Kulturhistoriker Peter Burke hat gezeigt, wie Ludwig einen Stab von Mitarbeitern versammelte, die den König über Denkmäler, Schlachtengemälde und Panegyrik in Szene setzen. Friedrich machte das viel persönlicher. Er hatte Berater wie Voltaire oder seine Schwester Wilhelmine, die seinen Ruhm weiter trugen, aber er setzte sie immer in die Spur, gab die Richtung vor. Außerdem war er intellektueller als Ludwig, schon in Rheinsberg holte er Vertraute zusammen, von denen er auf unterschiedlichen Wissensgebieten lernen konnte. Später kam auf europäischer Ebene ein weitreichender Briefwechsel dazu. Zudem verfasste er Schriften über seine Kriege und Politik, über die Geschichte seiner Dynastie und Themen seiner Zeit. Er schrieb seine eigene Geschichte, überließ das Urteil nicht anderen. Friedrich interessierte sich, im Gegensatz zu Ludwig, für viele Dinge, er war im besten Sinne des Wortes ein „Dilettant“, wie er sich selber nannte. Das galt für Literatur, Musik, Philosophie oder Architektur. Er nimmt etwa einen Band mit Stichen nach Palladio, zeichnet eine Fassade ab und lässt ein Haus mit dieser Fassade in Potsdam bauen. Auch Schloss Sanssouci geht auf eine seiner Skizzen zurück. Er war nicht so gut, dass er eine komplette Risszeichnung ausführen konnte, dafür hatte er Fachleute.

"Nur ein Drittel der Deutschen weiß noch, wer Friedrich war", sagt Historiker Jürgen Luh.
"Nur ein Drittel der Deutschen weiß noch, wer Friedrich war", sagt Historiker Jürgen Luh.

© privat

Um sich einen Namen zu machen, ist Friedrich 1740 kurz nach der Thronbesteigung mit seinen Truppen in Schlesien einmarschiert. Daraus resultierten drei Kriege. Wurde er zum Opfer seines Übermuts?

Ja. Weil er oft gehandelt hat, ohne sich die Konsequenzen klarzumachen. Er ist – wie wir auch in unserer Ausstellung „Friederisiko“ zeigen wollen – Risiken eingegangen. Meistens ist es gut gegangen, er hat Glück gehabt. Schlesien konnte er behalten, aber wenn man bedenkt, dass Habsburg nicht klein beigeben wollte und Friedrich mit dem Siebenjährigen Krieg einen dritten Krieg um Schlesien führen musste ... Bis zu seinem Lebensende hat er gefürchtet, dass die Habsburger noch einmal zurückschlagen würden. Mit dem Krieg hat er seine künftigen politischen Optionen stark eingeschränkt. Schlesien brachte ihm Ruhm als Feldherr, aber wenn er die Provinz wieder verloren hätte, wäre es fraglich, ob das 19. und 20. Jahrhundert ihn „den Großen“ genannt haben würde. Was mit Preußen nach seinem Tod passiert, war Friedrich ziemlich egal. Wenn der Niedergang einsetzen sollte, würde sein Stern umso heller strahlen. Das hatte er in der alten Geschichte gelernt. Jeder kennt heute Alexander den Großen. Seine Nachfolger, die Diadochen, die das Weltreich verloren, kennt keiner mehr.

Friedrich hat im Krieg mehrere Testamente gemacht und Anweisungen gegeben für den Fall „wenn ich sollte totgeschossen werden“. Misstraute er seinem Glück?

Ja. Friedrich war labil, seine Stimmungen wechselten schnell. Und er hat oft übertrieben. Seine größte Niederlage, durch Fahrlässigkeit von ihm verschuldet, war die Schlacht von Kunersdorf, die er 1759 gegen die Russen und Österreicher verlor. Danach wollte er sich zunächst umbringen, er lamentierte, von allen verlassen zu sein und nur noch 3000 Soldaten zu haben. Das entsprach nicht den Tatsachen. Er hatte noch 30.000 Mann, genug für weitere militärische Operationen. Die Depression hielt nur wenige Tage an, dann erkannte Friedrich, dass sich seine Gegner zurückzogen und den Fehler machten, Berlin nicht zu besetzen. Er sprach vom „Mirakel des Hauses Brandenburg“. Der russische Oberbefehlshaber hatte es vorgezogen, nach der gewonnenen Schlacht erst einmal eine Woche lang auf die Jagd zu gehen.

Sie zeigen in Ihrem Buch auch die unsympathische Seite von Friedrich. Fehler konnte er nicht zugeben, die Schuld an der verlorenen Schlacht bei Kolin 1757 schob er seinem Bruder August Wilhelm in die Schuhe.

Damit hat er ganz bewusst den Ruf von August Wilhelm ruiniert, der als Thronfolger vorgesehen war. Aus Friedrichs Sicht war diese Infamie nicht unklug, sie hielt seinen Namen in der Öffentlichkeit auf Abstand von der Niederlage. Aber in der Armee wusste jeder, wer sie zu verantworten hatte: Friedrich selber. Weil er seinem Bruder etwas genommen hat, was für das 18. Jahrhundert essenziell war, Ehre, hat er ihn als künftigen König demontiert. Friedrich machte ihn öffentlich vor den Soldaten nieder, das hat den Mann zerstört. Auf andere Weise hat Friedrich dies mit August Wilhelms Sohn noch einmal gemacht – der als Friedrich Wilhelm II. tatsächlich sein Nachfolger wurde. Friedrich warf ihm Liederlichkeit, Desinteresse, Frauengeschichten vor. Interessanterweise sind die Bilder, die wir von beiden, August Wilhelm und Friedrich Wilhelm, bis heute haben, von diesen Anschuldigungen geprägt. Das liegt daran, dass beide in der Friedrich huldigenden Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts als Ausfälle des Hauses Hohenzollern abgebucht wurden. Was ungerecht ist.

Das Bild vom „Alten Fritz“, der sich nach den gewonnenen Kriegen als Denker nach Sanssouci zurückzieht, halten Sie für eine Selbststilisierung.

Friedrich sagte, er habe sich für Land und Untertanen aufgeopfert. Goethe bemerkte in einem Brief, der König habe sich nach dem Siebenjährigen Krieg nur noch „in seinem verschabten blauen Rock und mit seiner buklichten Gestalt“ gezeigt. Dieses Bild hat sich bis heute gehalten, aber es stimmt allenfalls für den ganz alten Fritz. Als er 51-jährig aus dem Krieg zurückkehrte, das belegen Quellen, hatte er noch keine grauen Haare und keinen Buckel, er erfreute sich guter Gesundheit. Er hat auch weiterhin am Karneval und anderen Festen in Berlin teilgenommen. Und geopfert hat er sich auch nicht, denn er ist als Kriegsherr ja vor allem seiner Idee gefolgt. Dabei hat er allerdings viele Untertanen geopfert.

Wie viele denn?

Schätzungen gehen davon aus, dass Preußen durch Friedrichs Kriege zwischen 100.000 und 400.000 Menschen verloren hat, was bei vier Millionen Einwohnern eine ganze Menge ist. Nicht alle sind in der Schlacht gefallen, die meisten sind durch Hungersnöte und wegen mangelnder Versorgung umgekommen.

Sie schreiben viel auch über Friedrichs Privatleben, aber warum verlieren Sie kein Wort zu einer vieldiskutierten Frage: War er schwul?

Weil für das, was Friedrich erreichen wollte, diese Frage keine Rolle spielte. Ich glaube schon, dass er schwul war. Wenn man seine Texte genau liest, findet man Stellen, wo er das auch andeutet. Er hat tatsächlich, das wissen wir aus den Quellen, mit seiner Frau versucht, einen Thronfolger zu zeugen, das ging schief, und danach hat er es aufgegeben.

Dann schob Friedrich seine Frau Elisabeth Christine ins Schloss Schönhausen ab.

So ist es im 19. Jahrhundert kolportiert worden, aber das stimmt nicht ganz. Elisabeth Christine lebte nur im Sommer in Schönhausen, ansonsten residierte sie im Berliner Stadtschloss und hielt dort stellvertretend für Friedrich Hof. Das war eine wichtige Aufgabe, sie lud zu Empfängen ein und empfing Gesandte, alles Dinge, auf die Friedrich keine Lust hatte. Friedrich war nicht an Frauen interessiert, er hatte auch nur ganz wenige echte Freunde und hatte, wie Voltaire und Casanova überliefern, ein ziemlich verklemmtes Verhältnis zu sich selber. Sein Bruder Heinrich lebte seine Homosexualität relativ offen aus, von August Wilhelm, dem anderen Bruder, wissen wir, dass er Frauen und Männer liebte. Friedrich ist als Schürzenjäger unvorstellbar. Seine Schwester Wilhelmine hat zwar behauptet, er habe sich noch als Thronfolger bei einem Besuch am Hofe August des Starken in Dresden sexuell ausgetobt, auch von anderen angeblichen Geliebten ist die Rede. Doch der österreichische Gesandte Seckendorff bemerkte süffisant: „Der Kronprinz schneidet da wohl etwas auf.“

Die große Jubiläums-Ausstellung zu Friedrich, die Sie kuratieren, findet im Neuen Palais statt, das bislang immer im Schatten von Schloss Sanssouci stand. Wurde die Bedeutung des Baus unterschätzt?

Ja. Das Neue Palais sollte das Monument von Friedrichs Leben werden. Mit seiner Errichtung gleich nach dem Siebenjährigen Krieg wollte er demonstrieren, dass Preußen noch immer über die Mittel für eine solche Prachtentfaltung besaß. Außerdem kann man an dem Gebäude viele seiner Gedanken ablesen. So stehen der Boden der Marmorgalerie, der aus römischen Säulen stammt, für seine Anknüpfung an antike Größe und die im Brühlschen Palais in Dresden eroberten Spiegel für seinen militärischen Triumph. Wir werden die Geschichte seines Lebens und seiner Zeit anhand von elf Themen in rund 70 Räumen des Schlosses ausbreiten, von denen zahlreiche überhaupt zum ersten Mal zugänglich sein werden.

Die Ausstellung heißt „Friederisiko“. Warum dieser alberne Titel?

Es wäre sinnlos gewesen, einen abgegriffenen Titel zu wählen wie „Friedrich und die Kunst“, den gab es schon 1986, „Friedrich und die Politik“, auch 1986, oder „Friedrich – eine Bilanz“, den hatten wir im Grunde 1981 mit der Berliner Preußen-Ausstellung. Als wir begannen, die Ausstellung zu planen, haben wir eine Umfrage in Auftrag gegeben: Wer kennt Friedrich noch und was verbindet man mit ihm? Die Ergebnisse waren ernüchternd. Nur ein Drittel der Deutschen, vor allem in der Generation 60 plus, weiß, dass er ein preußischer König war. Bei der Generation unter 28 Jahren kennen ihn nur 16 Prozent. Deshalb haben wir zu diesem Kunstwort gegriffen, das Aufmerksamkeit erregt und einen von Friedrichs Charakterzügen trifft: seine Bereitschaft, Risiken einzugehen, von seinem Fluchtversuch vor dem Vater über die Kriege, die er führte, bis hin zur Finanzpolitik.

Interview: Christian Schröder.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false