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Kultur: "Intimacy": "Der Mensch gehört niemandem" - Interview mit dem Regisseur Patrice Chéreau

Über die Liebesszenen in "Intimacy": Ich wollte, dass sie lang sind. Ich wollte sehen, was passiert, wenn man nicht schneidet.

Über die Liebesszenen in "Intimacy": Ich wollte, dass sie lang sind. Ich wollte sehen, was passiert, wenn man nicht schneidet. Ich wollte die Totalität des Aktes, der sich jedes Mal wiederholt und jedes Mal ganz anders ist. Ich wollte das Zusammenspiel jenseits der Details, aber mit den Details. Man sieht ja nicht oft zwei Leute, die Liebe machen. Man sieht sich auch nicht selbst dabei. Aber es gibt ein Mysterium zwischen zwei Körpern. Etwas, das von der Seele in den Körper übergeht. "Intimacy" ist ein Film über das Mysterium, das in den Beziehungen bleiben muss. Man besitzt ja die Person nicht, die man liebt, man besitzt nur einen Teil. Man ist Eigentümer von niemandem.

Über die Arbeit mit den Schauspielern: Das ging nur über ein totales Einverständnis. Alles stand im Drehbuch. Die Schauspieler wussten vor allem, dass zwischen den Liebesszenen und dem Rest des Films eine Einheit bestand. Sie wussten, dass wir sie beschützen. Wir waren ruhig, nie brüsk.

Über Hanif Kureishi: Er hat mir viel Freiheit gelassen - und mir erlaubt, seine Kurzgeschichte "Nachtlicht" mit dem Roman zu vermischen. "Intimacy" betrifft ihn sehr direkt, er selbst hat Frau und Kinder verlassen. Die unbarmherzige und zugleich großzügige Beziehung, die Hanif zu Leuten hat, habe ich auch in anderen Erzählungen wiedergefunden. Unter den Fremdverfilmungen hält er meinen Film wohl für einen der am wenigsten schlechten. Das Drehbuch aber sollte eine Frau schreiben, ich wollte das. Hanif hätte nur über den Mann sprechen wollen.

Über das Kino der Catherine Breillat: In ihren Filmen ist so wenig Liebe. Ich weiß nicht wirklich, was sie erzählen, mit wem sie abrechnen will. "Intimacy" ist, wie Breillats "Romance", ein Film über den enormen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Man muss aber beide lieben.

Über die Dogma-Filmer: Das ist etwas, das zählt. Eine heilsame Gegenbewegung, ein bisschen wie die Nouvelle Vague. Diese brutale Selbstbeschränkung war absolut nötig. Thomas Vinterbergs "Fest" zum Beispiel: Das ist ein Film, den ich selbst gern gedreht hätte. Auch "Intimacy" hätte ich ganz im Dogma-Stil machen können, mit Digitalkamera, ohne künstliches Licht. Aber hätte ich etwa die Liebesszenen mit Handkamera gedreht, hätte ich den Schauspielern etwas gestohlen. Auch Improvisation hätte bedeutet, den Schauspielern etwas ohne ihr Wissen zu entlocken. Ich wollte, dass sie mir frei geben, was vereinbart war.

Über das Theater: Ich bin das Produkt aus allem, was ich vorher gemacht habe. Das Theater ist diffus vorhanden in meinen Filmen - nur nicht in den Theaterszenen! Beim Theater war ich am Ende. Das Schwierigste waren danach die Vorwürfe: Was, du machst kein Theater mehr? Aber das Leben ist Weitermachen. Im Kino habe ich noch alles zu entdecken und zu lernen.

Über das Älterwerden: Heute, mit 56, fühle ich mich körperlich immer noch wie 40, was idiotisch ist. Andererseits denke ich, ich habe nicht mehr so viel Zeit, das macht einen ein bisschen eilig, das ist nicht gut. Man muss ruhig sein und darf zugleich keine Zeit verlieren, das ist das Dilemma.

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