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Kultur: Islam: Dem Frieden zuliebe

Als Frankreichs Geheimdienst Mitte der Achtziger Jahre die "Rainbow Warrior" der Umweltorganisation Greenpeace versenkte, ertrank an Bord der Fotograf Fernando Pereira, den wir fast alle kannten. Und um ein Haar wäre die gesamte Crew, friedlich protestierende Leute aus aller Welt, mit Pereira untergegangen.

Von Caroline Fetscher

Als Frankreichs Geheimdienst Mitte der Achtziger Jahre die "Rainbow Warrior" der Umweltorganisation Greenpeace versenkte, ertrank an Bord der Fotograf Fernando Pereira, den wir fast alle kannten. Und um ein Haar wäre die gesamte Crew, friedlich protestierende Leute aus aller Welt, mit Pereira untergegangen. Durch einen Zufall waren die meisten an diesem Abend in Neuseeland nicht an Bord.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotostrecke I: Der Anschlag auf das WTC und das Pentagon Fotostrecke II: Reaktionen auf die Attentate Fotostrecke III: Rettungsarbeiten in New York Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige An eine fast instinktive Reaktion erinnere ich mich gut: Jetzt nicht die Franzosen hassen. Nur nicht zurückhassen, es wäre Gift - für einen selbst. Verantwortlich sind ein paar Franzosen, die jeglichen Realitätssinn verloren haben. Einzelne Geheimdienstleute oder Regierungsmitglieder. "Die Franzosen" sind nicht verantwortlich. Vielleicht war es naiv, aber das wiederholte Anhören einer Schallplatte, auf der ein Franzose "Le petit prince" von Saint-Exupéry vorlas, wirkte. Frankreich ist mehr und anders als diese sinnlose Attacke, sagte die Stimme des Lesenden. Text und Sprache wurden zum Antidot gegen Angst, Hass, Bitterkeit.

Wir wissen noch nicht, ob das Grauen in New York tatsächlich auf das Konto arabischer Attentäter geht. Aber je wahrscheinlicher dies wird, desto stärker wächst der Antiislamismus im Westen. Viele ertappen sich dabei, dass sie arabische Schriftzügen misstrauisch betrachten. Sie scheuen vor offenen Gesprächen mit Leuten islamischen Glaubens zurück und werden von grimmigen Gedanken an Rache und Vergeltung erfasst. Das Fernsehen zeigt wieder und wieder euphorischer Palästinenser-Kinder. Und es zeigt die Szene der kopftuchtragenden Frau, wie sie triumphierend über die Attacke auf die Vereinigten Staaten lacht.

Für die Kinder scheint das Geschehene virtuell - wie ein gelungenes Videospiel. Sie haben keine Ahnung, was sie bejubeln. Erwachsene, die keine oder eine einseitige Bildung haben, drängen diese Kinder in eine polarisierte Welt, wo Phantasmen der Rang von Realität zugesprochen wird. Es sind ein paar tausend Kinder - sie spiegeln die "klammheimliche Freude" jener Erwachsenen, die den "Weltpolizisten USA" ins Herz getroffen sehen.

Inzwischen gibt es auch andere Bilder. Sie sind so wertvoll wie ganze Abrüstungs-Konferenzen, weshalb sie eigentlich auf die Titelseiten der Zeitungen gehören. Neben den Verlautbarungen schockierter Staatschefs arabischer Nationen gibt es auch das Bild von Jassir Arafat, wie er Blut für die Überlebenden des Attentats spendet. Es ist ein gerade in arabischen Gesellschaften enorm symbolisches Bild. Dazu die Meldungen von den Hunderten von Palästinensern, die seinem Beispiel gefolgt sind. Solche Nachrichten sind Schritte zur Deeskalation; sie haben gleichrangige Bedeutung mit konsequenter Strafverfolgung. Es geht ja nicht nur, wie Robert Leicht gestern im Tagesspiegel schrieb, darum, die Feindesliebe nicht zu vergessen. Es geht auch darum, zu erkennen, dass die Muslime - weltweit eine Milliarde Menschen - nicht alle Feinde sein können.

Terroristen, denen es gelänge, einen Krieg anzufachen, haben gewonnen. Das Konzept der unteilbaren, universellen Menschenrechte, das beste säkulare Konzept, das je erfunden wurde, kann andere nur überzeugen, wenn es integrativ angewendet wird. Mit Interesse am Andern. Mit offenen Händen. Eine deutsche Freundin, die im Kosovo in der Zivilverwaltung arbeitet, sagte diese Woche: Nach dem Attentat auf das World Trade Center von 1993 hätte man friedlichen islamischen Gruppen Räume in den Twin Towers anbieten sollen. Nicht nur, um sie als Angriffsziel prekär werden zu lassen, sondern um zu demonstrieren, dass der Westen, die freie Welt, die Integration wirklich will. So unrealistisch der Gedanke nun erscheint, er geht in die richtige Richtung.

Wenn westliche Gesellschaften jetzt daran erinnert werden, dass sie erwachsene Gemeinschaften und nicht Entertainment-Communities sind, ist es wichtig zu akzeptieren, dass andere Gesellschaften genau so erwachsen sind. Und dass die Attacken auf Amerika - auf die Zivilisation, wie auch gesagt wird - nicht vom imaginierten Erzfeind des Entertainment, dem ikonoklastischen "Islam" begangen wurden.

Die innere Unsicherheit

Weder mit Allah, noch mit dem Koran, mit Menschenwürde oder dem Kampf gegen Gottesfeinde hat die erratische Kriegserklärung der Attentäter etwas zu tun. Trotzdem stellen Freunde und Kollegen fest, wie sich diffus ein islamfeindliches und islamophobes Gefühl ausbreitet. Wo die "innere Sicherheit" bedroht ist, sucht die innere Unsicherheit nach fassbaren Bildern. "Der Islam" (Fanatismus, Dialogfeindlichkeit) bildet schnell die Mitteltafel eines laienhaft gezeichneten Triptychons, dessen Seitenflügel "Dritte Welt" (Flüchtlinge, Asylanten) und "Süden" (Armut, Seuchen) heißen.

Bevor ein schlechtgemaltes Bild auf den Altar der Gegenwart gehievt wird, wäre es an der Zeit, das Triptychon zu analysieren, um es dem kunsthistorischen Archiv für Fälschungen zu überantworten. Die Botschaften der Attentäter heißen: Hybris, Empathiearmut, Narzissmus und "religiöser" Wahn. Keine dieser Botschaften findet sich im Koran. Auch nicht in der arabischen Dichtung, bei Filmemachern aus islamisch geprägten Kulturen oder bei den Intellektuellen, die ihre Regime kritisieren, wie Tausende andere auch.

Über die Arbeit an seinem West-östlichen Divan schrieb Goethe, der kulturelle Brückenbauer, 1815 in einem Brief: "Bey unserer Lebens- und Studien-Weise, vernimmt man soviel von allen Seiten her, begnügt sich mit encyklopädischem Wissen und den allgemeinsten Begriffen; dringt man aber selbst in ein solches Land, um die Eigentümlichkeiten seines Zustandes zu fassen, so gewinnt alles ein lebendigeres Ansehen. Wenig fehlt, dass ich noch arabisch lerne."

Es geht nicht darum, die "Eigentümlichkeit" des kriminellen Regimes der Taliban zu erfassen. Für die Taliban müsste es längst einen Internationalen Strafgerichtshof wie für Ruanda und Jugoslawien geben. Wichtig wäre es, gerade jetzt, von arabischer Kultur, Geschichte und Religion mehr zu verstehen. Und sich zu verständigen mit denen, die die Partner der Zukunft sein müssen. Anders ist der soziale Weltfrieden nicht denkbar.

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