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Kultur: Israelische Kunst: "Vielleicht brauchen wir den Krieg"

Das Foto zeigte den eleganten älteren Mann, wie er weit nach hinten ausholt, um einen Stein zu werfen. Es war die bekannte Pose der Intifada, des Aufstands der Palästinenser, und der ältere Mann war der bekannte Literaturprofessor Edward Said aus New York.

Das Foto zeigte den eleganten älteren Mann, wie er weit nach hinten ausholt, um einen Stein zu werfen. Es war die bekannte Pose der Intifada, des Aufstands der Palästinenser, und der ältere Mann war der bekannte Literaturprofessor Edward Said aus New York. Für die einen war Said damit ein "Steine-schmeißender Terrorist", er selbst fühlte sich, angesichts des "Kiesels" in seiner Hand, als "Opfer zionistischer Propaganda". Ganz gleich, es war ein Foto, das Israel als einen Ort vorführte, an dem Intellektuelle während des Urlaubs Steine schmeißen.

Nicht lange nachdem Said so fotografiert worden war, verließ Tal Kochavi Israel. Das Land, sagt die junge Fotokünstlerin, war ein Ort geworden, an dem Kultur nichts mehr zählte. Die Realität bestand aus Waffen und Sicherheit, aus Politik, und nicht aus Kunst, und beschäftigte man sich mit dieser Politik, so Kochavi, musste man damit rechnen, von ihr vereinnahmt zu werden. So zog die 28-Jährige nach Berlin, in den Prenzlauer Berg, und begann an der Hochschule der Künste zu studieren. Inzwischen , ein Jahr später, werfen die Palästinenser nicht mehr Steine, sie zünden in Bomben. "Für Kunst", sagt jetzt erst recht der Installationskünstler Barak Bar-Am, "ist in Israel wenig Platz." Irgendwann komme man dort als Künstler an den Punkt, wo man ohne Politik leben möchte. "Ich lese Zeitung, ich interessiere mich dafür, aber ich will nicht, dass der Konflikt mein Leben bestimmt." Barak Bar-Am arbeitet und lebt seit über drei Jahren in Berlin.

Politische Kunst interessiert ihn nicht. "Es gibt nichts, dass ich beisteuern kann", sagt der 30-Jährige. Ohnehin ist er frustriert über den Verlauf des Konflikts. "Es ist längst klar, wie eine Lösung auszusehen hat: Keine Siedlungen mehr und ein eigener Palästinenser-Staat", sagt er. Israel zu verlasen kam für ihn einer Abstimmung per Fuß gleich: "Ich wollte nicht so lange warten, bis unsere Politiker zu der gleichen Schlussfolgerung gekommen sind."

Dodi Reifenberg sitzt auf seinem Balkon in Moabit und spricht von der Uhr, die er mit seinem Partner Flori entworfen hat. "A time for peace", steht in vielen Sprachen auf dem Armband der Uhr, die es bei achshav, der Berliner Adresse für zeitgenössische Kunst aus Israel, und bald auch im Jüdischen Museum zu kaufen gibt. Vor zwanzig Jahren wurde Dodi in Tel Aviv fast verhaftet, wegen einer nicht angemeldeten Kunstaktion. Damals war der Libanon-Krieg noch in vollem Gange. Er verließ Israel, lebte an verschiedenen Orten in Europa, 1988 kam er nach Berlin. In Deutschland ist er bekannt geworden für seine Collagen aus Plastiktüten, Kunstwerke aus zerschnittenen deutschen Plastiktüten. "Wir brauchen den Frieden in Israel", sagt Reifenberg. "Und vielleicht brauchen wir den Krieg." Denn das palästinenische Problem, meint er, hilft auch, die jüdischen Probleme zu verdecken: die fundamentalistische Bedrohung durch die Orthodoxie, etwa, oder die Tatsache, dass in Israel an jeder Ecke die 3.Welt durchscheint.

Tsibi Geva, inzwischen hochgeehrt, sorgte 1984 für einen Skandal, als er die Namen arabischer Dörfer in Hebräisch ausschrieb. Damals war das noch ein Tabu. Seine jüngeren Arbeiten, mit denen er erst vor wenigen Wochen in der Berliner Galerie achshav.now zu Gast war, wirken wie Pattern paintings. Sie tragen das Muster der "Balata", der israelischen Terrazzofliesen. Balata ist zugleich der Name eines der größten Flüchtlingslager im Westjordanland. "Das ist ein politischer Akt für mich - auf der Leinwand." Ruft man ihn in Israel an, sagt Geva, dass die Lage deprimierend ist. Allerdings erst auf Nachfrage. Vorher erzählt er von seinem neuen Projekt in New York. Dort will er seine Berliner Installation noch einmal umsetzen, nur viel größer: Eine Wand voller Autoreifen. "Alte Reifen, aufgesammelt in den nächtlichen Straßen von Jaffa, neben den Autowerkstätten. Das sind die gleichen alten Reifen, die die palästinensischen Kinder während der Intifada anzünden."

"Wir sind alle Labour", sagt Flori Reifenberg, der aus einer deutschen Jerusalemer Familie stammt. Tsibi Geva sagt: "Wir sind in der Opposition." Nicht einmal er glaubt, etwas ausrichten zu können, politische Kunst hält er für naiv. Der Spielraum für die Kunst in Israel ist nicht erst jetzt eng geworden. Künstler werden nicht durch Stipendien unterstützt, es gibt weniger Galerien. Auch wenn es die bildende Kunst in Israel immer wieder versucht hat, sie ist nie zum gesellschaftlichen Zentrum vorgedrungen. Im Gegenteil: Kunststudenten dienen wie alle anderen in der Armee, der zionistische Konsens, sagt Kochavi, die selbst fast drei Jahre in der Armee war, reicht weit. Und so beginnt die Abschottung schon früh: Ihre Kunsthochschule nahe Jerusalem war von zwei arabischen Dörfern umgeben, doch Kontakt mit jener Welt hatte sie nie. Die Fenster waren Schlitze und genau so sei auch der Rest der Kunstwelt in Israel abgekoppelt vom Mittleren Osten.

Wie weit auch sie sich schon entfernt hatte, sei ihr erst in Berlin aufgegangen. All jene Fotos, die so inszenierte, dass man ihnen Israel nicht mehr ansah, aufgenommen ganz früh am Morgen oder sehr spät. "Künstlerisch habe ich den Ort ignoriert." Dass man ohne Abwehrhaltung leben kann, ohne die Wut, sei ein Gefühl, das sie in Berlin erfahren habe - und mit zurück nehmen wolle. Israel hatte Tal Kochavi auch aus Sehnsucht nach jenem Ort verlassen, an dem ihre Großmutter geboren wurde. Und jetzt, da diese Sehnsucht in Berlin aufgebraucht ist, sagt sie: "Das ist die Tragödie Israels: die Sehnsucht nach Europa und die Arroganz gegenüber dem Osten." Und dann, dass sie wahrscheinlich schon bald zurückkehren werde. "Man kann Dinge andeuten, ohne sie direkt auszusprechen", sagt Barak Bar-Am schließlich. "Ich versuche mich mit meiner eigenen Geschichte auseinanderzusetzen." Das heißt mit seinem in Berlin geborenen Vater, mit der zionistischen Geschichte. Mit den architektonischen Impulsen, die aus Deutschland nach Israel gingen. Dort sei er aufgewachsen, doch mit dem israelisch-palästinensischem Konflikt haben seine Arbeiten nichts zu tun. "Meine Kunst", sagt Barak Bar-Am, "geht um mich."

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