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Kultur: Ist jemand vernetzt?

Die junge Deutsche Literatur ist nicht mehr Pop Im Hau entdeckt sie ihre Ernsthaftigkeit

Seit die Arbeitsverhältnisse prekär sind und gute Ausbildung allein nichts mehr nützt, heißen Beziehungen nicht mehr Beziehungen sondern soziale Netzwerke. Und man schämt sich auch nicht mehr für sie. Im Gegenteil, wenn ein Festival für junge deutsche Literatur und Musik „Lan“ heißt, dann deshalb, weil die Veranstalter bekennende Netzwerker sind: „Lan“ bezeichnet die Verschaltung von mehreren Computern zum Datentransfer. An drei Tagen traten an diesem Wochenende achtzehn Autoren, sechs Bands und drei Singer-Songwriter im Hau2 auf, und ein Leitmotiv der Veranstaltung war: Man kennt sich. Die Veranstalter kündigten die Autoren als langjährige Bekannte an und sprachen von einer Generation der „Kontexte und Korrespondenzen, der Zusammenarbeit und der Freundschaft“.

Nun ist Gruppenbildung unter Künstlern keine Neuigkeit, der poetologische Austausch nichts Abträgliches. Und wer keine Bühne hat, wer von den Feuilletons und Verlagen ignoriert wird, muss eben seine eigenen Plattformen gründen. Solche sind seit Jahren das Literaturmagazin Edit und der Verlag Kookbooks, aus dessen Umfeld die „Lan“-Veranstalter kommen. Das hat sich bis in die Feuilletons rumgesprochen, Bandenbildung nannte Hubert Winkels in der jüngsten „Zeit“ diese neue „Bedrohung“ wohlwollend. Das Festival ist da ein weiterer Schritt, aus kleinen Zirkeln heraus auf den Markt zu kommen.

Eine Verkaufsveranstaltung für die eigenen Künstler war es trotzdem nicht, sondern ein schöner und sehr quotenbewusster Überblick über die junge deutsche Literatur. Von guten Unbekannten wie Thomas Pletzinger über hoffnungsvollen Nachwuchs wie Svenja Leiber oder Tilman Rammstedt bis zu den Stars des Betriebs wie Saša Stanišiÿ oder Antje Rávic Strubel war alles vertreten.

Missverständlich bloß die programmatische Ausrichtung „Pop infiziert Literatur, Texte werden tanzbar“. „Ich glaube nicht, dass dieser Text tanzbar ist,“ gab Finn-Ole Heinrich dann auch zurück, immerhin handelt seine Erzählung von einem Mädchen, das bei einem Unfall ein Bein verliert. Gerade unter den Lyrikern wie Ann Cotten, Uljana Wolf oder Daniel Falb herrscht ein neuer Tonfall, der zwar musikalisch, aber auch hermetisch ist, ohne Blick auf Marktfähigkeit. Und die in Celansche Höhen gepriesene Anja Utler gab eine mehrstimmige Performance, die dunkel im Ursumpf der Sprache stöberte. Da nehmen manche schon vorsichtig das Wort von einer neuen Avantgarde in den Mund.

Das überwiegend junge Publikum im gut gefüllten Haus schien sich aber an der neuen Ernsthaftigkeit nicht zu stören, auch nicht daran, dass viele der Prosatexte das Erzählen fast vollkommen eingestellt haben. Steffen Popps „Ohrenberg oder der Weg dorthin“ und Jörg Albrechts „Drei Herzen“ etwa sind eher Textmaschinen, die einen Gegenstand assoziativ einkreisen und Rhythmus über Verständlichkeit stellen. Den schmalen Grat zwischen Diskurs, Musikalität und Erzählung aber geht kaum jemand so leicht wie Monika Rinck, mit 38 Jahren Älteste unter den jungen Autoren. Ihr lyrischer Essay „Ah, das Love-Ding!“ spaziert ironisch und mit fast übermütiger Lässigkeit im Grenzbereich zwischen Philosophie und Alltag.

Literarisch zwar avantgardistisch gestimmt, zeigte sich das Publikum musikalisch doch erstaunlich konservativ: Aus verwunderter Distanz betrachtete man Knarf Rellöms Trashperformance „Move your Ass – and your Mind will follow“, und auch der Experimentalformation PostHolocaustPop näherte man sich nur zögerlich. Die Berliner Musikerinnen von Britta und Masha Qrella bewegten mehr Körper, aber weniger Geist.

Am Ende wurde es dann noch einmal unheimlich, als nach der letzten Lesung so viele Beteiligte zum Dank auf die Bühne gebeten wurden, dass man einen Moment fürchtete, gleich würde das ganze vernetzwerkte Publikum auf der Bühne stehen und sich vor einem geisterhaft leeren Zuschauerraum verneigen. So weit kam es nicht. Es wäre zu schade gewesen, wenn niemand die Kunde von dem schönen Fest nach außen hätte tragen können.

Jean-Michel Berg

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