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Schon 1787 malte Johann Heinrich Tischbein das Gemälde "Goethe in der Campagna". Und vor 200 Jahren erschien Goethes italienische Reise als Buch.

© dpa

Italien gegen Deutschland: Vorfreude, Ängste, Achtung und Zuversicht

Wenn Deutschland im EM-Viertelfinale auf Italien trifft, dann ist das ein weiterer Farbtupfer zu einem grandiosen Historiengemälde. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Es ist natürlich ein Klischee: Die Deutschen lieben die Italiener, aber sie achten sie nicht. Und die Italiener achten die Deutschen, aber lieben sie nicht. Allerdings enthalten auch Klischees oft Spuren von Wahrheit.

Jene populäre Redewendung über die wechselseitigen Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen beiden Völkern gilt indes nicht für das bevorstehende große EM-Duell in Bordeaux. Wenn die deutsche Elf, die auch in Italien „La Mannschaft“ heißt, auf die Squadra Azzurra trifft, eint die beiden vierfachen Weltmeister: der immense Respekt voreinander.

Kaum hatten die Deutschen die Fußballweltmacht namens Slowakei hinter sich gelassen, titelte Italiens meinungsbildende „Gazzetta dello Sport“, Deutschland verbreite nun wieder Schrecken („fa paura“). Als den Italienern ein Tag später ihr überraschend souveräner Sieg über Titelverteidiger Spanien gelang, lautete die Botschaft nun umgekehrt: Die Deutschen zittern vor uns! Inzwischen herrscht nördlich und südlich der Alpen eher ein Gleichstand der Emotionen: gespannte Vorfreude, gemischt mit Ängsten, Achtung und Zuversicht.

Beide kennen das Gesetz der Serie, nach dem Italien bei Welt- und Europameisterschaften bisher immer gegen Deutschland gewonnen hat. Traum und Trauma. Die einen hoffen auf den Bestand der Serie, die anderen wissen, dass jede Glückssträhne und jede Pechkette irgendwann einmal reißt.

Eine wunderliche Harmonie. Zwischen Gegnern. Auch viele deutsche Fans haben das wilde Mannsbild Gianluigi Buffon, den schier alterslos tollen Torhüter und Kapitän der Azzuri, mittlerweile ins Herz geschlossen; und die Italiener nennen „Gigis“ Gegenüber, den deutschen Weltkeeper Manuel Neuer, gleichfalls beim Vornamen.

Von der italienischen Renaissance zur Aufklärung in Deutschland

Freilich gehört das nur angetupfte Bild der deutsch-italienischen Beziehungen zu einem unendlich viel größeren, grandiosen Historiengemälde. Nicht nur die kriegerischen oder touristischen Teutonen sind über die Alpen gen Süden gezogen, auch die besten Geister. Dass Goethes „Italienische Reise“ vor jetzt 200 Jahren als Buch erschien, ist dabei nur der jubilarische Zufall. Wirklich aktuell wäre heute die Besinnung auf Europa. Die italienische Renaissance, an griechische Wurzeln erinnernd, hat Europas Vorstellung von Kultur und Politik, von Kunst, Staat, Stadtbürgertum geprägt – und ihre Verbindung mit der deutschen Philosophie der Aufklärung gehört zum Fundament des Kontinents.

Schade, dass Deutschland und Italien nun schon im Viertelfinale aufeinandertreffen und einer so früh ausscheiden muss. Aber viel wichtiger für beide Länder und das angeschlagene Europa wäre ein wieder engeres Band zwischen Nord und Süd. Klug immerhin, dass die zur Zeit so sprachlose Bundeskanzlerin in das Nachdenken über den Brexit diese Woche in Berlin gleich Italiens Ministerpräsidenten Matteo Renzi mit einbezogen hat.

Die Italiener, seit Längerem aversiv gegen eine – wie sie es sehen – hegemonial egoistische, den europäischen Süden ausblutende deutsche Finanzpolitik, würden sich gerne stärker mit Frankreich und Spanien verbünden. Doch wissen sie, dass es ohne und gegen Deutschland nicht geht. Und nicht nur Jogi Löw kennt und schätzt umgekehrt: Italiens Spiel- und Lebenskultur. Italiener und Deutsche sind sich in ihrer Nähe so fern wie in der Ferne sehr nah.

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