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Standfest. Jack White spielt eine Vintage-Orgel.

© Beggars

Jack Whites Soloalbum "Blunderbass": Wein’ dich in den Schlaf

Schließlich rammt ihm seine Geliebte ein Messer in den Leib, quetscht seine Finger im Türrahmen ein und zwingt ihn, die eigene Mutter zu ermorden. Geschlechterkrieg im Retrosound: Jack Whites Solodebüt „Blunderbuss“.

Von Jörg Wunder

Eigentlich hatte man sich an die Vorstellung gewöhnt, dass Jack White gut mit Frauen auskommt. Als eine Hälfte der White Stripes spielte er zehn Jahre lang an der Seite seiner zunächst Noch- und späteren Exfrau Meg White. Er überließ in seiner Drittband Dead Weather der Britin Alison Mosshart von der White-Stripes-Konkurrenz The Kills generös den Platz am Mikrofon. Er teilte sich die Meriten für den letzten James-Bond-Titelsong mit Alicia Keys. Er produzierte die bemerkenswerten Comeback-Alben für die Country-Göttin Loretta Lynn und die First Lady des Rockabilly, Wanda Jackson. Und er war dem Anschein nach glücklich verheiratet mit dem britischen Model Karen Elson, eine Promi-Ehe, die kaum Schlagzeilen generierte.

Jack Whites Image als Frauenversteher könnte nun ernsthafte Risse bekommen. Der Grund heißt „Blunderbuss“ (XL/Beggars), das am Freitag erscheinende Solodebüt des Multitalents. In gut der Hälfte der 13 Songs wird dem Ich-Erzähler vom anderen Geschlecht übel mitgespielt. Der Mann in Whites Songs erleidet bei der Begegnung mit einer Frau den totalen Kontrollverlust bis hin zur Amputation seiner Gliedmaßen („Missing Pieces“). Er steigert sich in einen Furor der Eifersucht, dafür piekt die Frau mit Stöckelschuhen Löcher in sein Rettungsboot und er wird mit Medikamenten vollgestopft, bis er tot umfällt („Sixteen Saltines“). Seine Fußsohlen werden gehäutet, anschließend muss er über Salz laufen, ehe ihn die Frau wegen Gewaltanwendung bei der Polizei anzeigt („Freedom At 21“). Schließlich rammt ihm seine Geliebte ein Messer in den Leib, quetscht seine Finger im Türrahmen ein und zwingt ihn, die eigene Mutter zu ermorden („Love Interruption“). Erst das siebte Stück „Weep Themselves To Sleep“ bietet einen Perspektivwechsel. Hier ist der Mann der Sünder, der sich zu körperlicher Gewalt hinreißen lässt und dies in einem binnengereimten Wortschwall reuig bekennt.

Starker Tobak. Man fragt sich, wo das herkommt. Vermutlich muss man sich hüten, die Songinhalte ungefiltert autobiografisch zu interpretieren. Denn es wäre naiv anzunehmen, dass ausgerechnet ein Kontrollfreak wie Jack White, der die White Stripes als musikalisch-visuelles Gesamtkunstwerk bis ins letzte Bühnendetail durchgestylt hatte, sich derart in die Karten blicken ließe. Zudem bezieht sich der 36-Jährige in seinem Werk so explizit wie kaum ein zeitgenössischer Popmusiker auf die Tradition des amerikanischen Südens. Und genau hier, in den archaischen Blues-Standards seiner Vorbilder wie Son House, Blind Willie McTell oder Robert Johnson wurden all die Martyrien des aus männlicher Perspektive erzählten Geschlechterkriegs bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Kanon der Popgeschichte eingespeist und seitdem tausendfach aufgegriffen und variiert.

Allerdings fällt auf, dass jeder der zwölf von Jack White verfassten Songs – das sich nahtlos einfügende „I’m Shakin’“ stammt aus der Feder des 1962 verstorbenen Bluesmusikers Rudy Toombs – auf die Ich-Perspektive fokussiert ist. White selbst macht dazu widersprüchliche Angaben. Einerseits besteht er auf der Feststellung, dass er nie explizit über sich selbst schreibe, andererseits räumt er ein, dass das Scheitern der im letzten Jahr demonstrativ mit einer großen Scheidungsparty beendeten Ehe mit Karen Elson Spuren hinterlassen habe. Mehr ist kaum herauszuholen aus dem verschlossenen Künstler, der sein Privatleben sorgsam hütet und selbst die Beziehung zu seiner früheren Ehefrau lange verschleiert hat – Jack und Meg White galten zeitweise als Geschwister.

Die Probleme, die Jack Whites literarisches Alter Ego mit Frauen hat, bieten Raum für Spekulationen, doch in der Realität scheint das Verhältnis recht intakt zu sein. So wurde der größte Teil der Platte mit einem kleinen Ensemble aus Memphis stammender Musikerinnen eingespielt, sogar Karen Elson singt auf drei Stücken im Backgroundchor mit. Die Kontrabassistin Bryn Davies, Schlagzeugerin Carla Azar, Olivia Jean an der zweiten Gitarre und Brooke Waggoner an diversen antiquarischen Tasteninstrumenten bilden das Rückgrat eines unverhohlen auf die sechziger und siebziger Jahre verweisenden Sounds, der bis zur analogen Aufnahmetechnik aus der Gegenwart gefallen zu sein scheint. Allerdings nur so lange, bis man sich ins Gedächtnis ruft, dass diese Back-to-the-Roots-Haltung mit Bands wie den Black Keys oder My Morning Jacket einen wichtigen Teil der zeitgenössischen US-Rockmusik prägt.

Im Vergleich zu den fetten Rock-Arrangements der letzten Alben von Whites noch aktiven Bands, Raconteurs und Dead Weather, klingt „Blunderbuss“ angenehm luftig. Was Jack Whites Gesang umso stärker in den Vordergrund rückt. Noch mehr als zu Zeiten der White Stripes ist das ein heiseres, sich überschlagendes Krächzen. Keine schöne, aber eine enorm intensive Stimme. Dazu passt Whites eruptives Gitarrenspiel, das wie ein gleißender Feuerstrahl zwischen die Strophen fährt. Seine mächtigen Powerchords, seine abgedrehten Fünfzehnsekundensoli in „Freedom At 21“ oder „Weep Themselves To Sleep“ bestätigen ihn als herausragenden Instrumentalisten. Dennoch hinterlassen manche Songs das Gefühl, einer allzu kalkulierten Aufführung klug ausgewählter Zitate aus Blues („Trash Tongue Talker“), Southern Rock („Blunderbuss“), Vaudeville („Hypocritical Kiss“) oder Rock’n’Roll („I’m Shakin’“) beizuwohnen. Das ist virtuos, spiegelt aber vor allem die profunden Kenntnisse des Labelbetreibers und manischen Plattensammlers Jack White.

Wie gut er als Songwriter sein kann, merkt man erst am Ende der Platte. „On And On And On“, das nicht nur deshalb an die großartigen Wilco erinnert, weil die ein (anderes) Stück gleichen Titels im Repertoire haben, und das abschließende „Take Me With You When You Go“ mit den an die Americana-Pioniere The Band erinnernden schwebenden Akkordwechseln dringen ins Zentrum einer Musikalität vor, die Jack White bislang verschlossen blieb. Und all der Zorn des gedemütigten Mannes ist auch verraucht, wenn der gemischtgeschlechtliche Chor „Take me with you when you go / Take me anywhere you go“ haucht.

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