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Vorbild aus Fernost. „Der Seerosenteich“ (1899) von Edouard Monet zeigt eine japanische Brücke in seinem 1893 angelegten Garten in Giverny, die sehr der Zdo-Brücke in Tokyo gleicht. Letztere hat auch Hokusai auf einem populären Holzstich festgehalten.

© picture-alliance / akg-images

Japanischer Farbholzschnitt: Das große Glück von Linie und Fläche

Hokusai, Hiroshige, Utamaro: Die Künstler des japanischen Farbholzschnitts begeisterten Ende des 19. Jahrhunderts Paris und die Kunst der Moderne.

Zwei besonders farbkräftige Gemälde fallen beim Besuch im Amsterdamer Van-Gogh-Museum ins Auge. Das eine zeigt einen „Blühenden Pflaumenbaum“, das andere „Regen auf der Brücke“. Vincent van Gogh hat sie gemalt, doch es sind nicht seine Bildideen, sondern die des japanischen Holzschneiders Hiroshige (1797-1758). Die Vorlagen stammen aus der großen Zahl der Ukiyo-e- Farbholzschnitte, der im stark anwachsenden Bürgertum Japans selbst ungemein populären Darstellungen des Alltagslebens wie auch der Landschaften. Im buddhistischen Sinne handelt es sich um die „fließende Welt“ – ukiyo-e –, der zumeist der Beigeschmack der flüchtigen Vergnügungen anhaftet.

Van Gogh begeisterte sich für Ukiyo-e- Blätter; insgesamt 477 haben er und sein Bruder Theo zusammengetragen, darunter nicht weniger als 43 von der Hand Hiroshiges. Am höchsten geschätzt hat er jedoch Hokusai (1760-1849), von dem sich allerdings nur ein Blatt in seiner Sammlung befindet, aus der Serie der „100 Ansichten des Berges Fuji“ von 1834. Erworben haben die Brüder Vincent und Theo van Gogh die Grafiken bei Siegfried Bing, einer Schlüsselfigur für das, was als „Japonismus“ in Paris und später in ganz Europa Furore machte.

In den Jahren nach Abschluss des japanisch-französischen Handelsvertrages 1858 überflutete eine regelrechte vague des etampes, eine „Welle von Druckgrafik“, die Hauptstadt Paris. Über Le Havre, den Sitz der „Compagnie des Indes Orientales“, gelangten Grafikbücher quasi als Mitbringsel ins Land, wo sie insbesondere von den Künstlern des künftigen Impressionismus wahrgenommen und bald gesammelt wurden. Für die Rezeption Japans, das sich bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus fast völlig von der Außenwelt abgeschlossen hatte, spielten die Ukiyo-e-Drucke eine enorme Rolle.

Hokusais zwischen 1815 und 1834 erst in Nagoya, dann im aufstrebenden Edo entstandenes und in 15 Bänden publiziertes Skizzenbuch „Hokusai manga“ formte mit der Vielzahl seiner Szenen ein bleibendes Bild des „alten Japan“. Vermutlich waren erste Exemplare der Manga-Bände bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa aufgetaucht. Jedenfalls orientierten sich Künstler unterschiedlicher Richtungen an den schattenlosen und flächig in den leeren Raum platzierten Figuren Hokusais.

Zu den ersten der langen Reihe bedeutender Künstler des späten 19. Jahrhunderts, die sich vom Japonismus begeistern ließen, zählt Edouard Manet. Sein Freund, der wortmächtige Émile Zola, wies bereits 1866 auf den Einfluss japanischer Holzschnitte auf Manet hin – worauf dieser in seinem Porträt des Schriftstellers von 1867 durch die Einbeziehung eines japanischen Holzschnitts an der Wand hinter Zola anspielt. 1867 war auch das Jahr einer weiteren Weltausstellung in Paris, bei der Japan allerdings noch nicht offiziell vertreten war. Französische Sammler füllten die Lücke, mit Ukiyoe-Alben mit Drucken von Hokusai, aber auch von Holzschneidern der jüngsten Generation, die ihre Blätter eigens für die Länderschau angefertigt hatten.

Erst 1873, bei der Wiener Weltausstellung, präsentierte sich Japan erstmals offiziell. Allerdings fanden Ukiyo-e als „niedere“ Kunstform dabei keinen Platz. Und auch 1878, als erneut Paris an der Reihe war, reagierte das offizielle Japan nicht im mindesten auf das Interesse an, ja die Begeisterung für die japanische Druckgrafik. Es war Siegfried Bing, ein aus Deutschland zugewanderter Händler, aber ebenso sehr Kenner und großzügiger Förderer, der zwei Jahre darauf nach Japan reiste und von da an unzählige Grafikblätter nach Europa brachte. Van Gogh schwärmte später von dem „Dachgeschoss in Bings Haus mit Millionen von Drucken übereinander“. Bings spätere Galerie nach 1895, die in ihrem Namen den Begriff „L’art nouveau“ trug, sollte einer ganzen Stilrichtung den Namen geben, dem in Deutschland nach der hierzulande wichtigsten Zeitschrift so bezeichneten „Jugendstil“.

Der Einfluss der japanischen Kunst auf die Avantgarde Europas ist schwerlich anhand einzelner Vorbilder auszumachen. Zwei Aspekte sind zu unterscheiden: Zum einen die modische Begeisterung für exotische Objekte, die in den unterschiedlichen Wellen von Chinoiserie bis Orientalismus immer wieder auftritt. Zum anderen die Übernahme bestimmter künstlerischer Prinzipien wie die Betonung der Linie, die Flächigkeit, der Verzicht auf Zentralperspektive und Raumtiefe. Nicht immer lassen sich beide Aspekte trennen. Wenn etwa Manet 1874 die „Dame mit den Fächern“ malt und der jüngere Claude Monet zwei Jahre darauf mit der „Japanerin“ antwortet, die Kimono trägt und ihr Zimmer mit Fächern drapiert hat, so sind beide Gemälde doch eher Momentaufnahmen der Japanmode. Anders bei James McNeill Whistler, dessen berühmte „Nocturnes“ nicht so sehr Objekte darstellen, sondern Stimmungen, ausgedrückt in Farbakkorden wie auf japanischen Stellwandschirmen. Und erinnert nicht sein „Nachtbild in Blau und Gold“ der „Old Battersea Bridge“ in ihrer fremdartigen Überhöhung an die gesuchte Künstlichkeit, die die Blätter der Ukiyo-e zumindest in westlichen Augen kennzeichnet?

Siegfried Bing brachte zwischen 1888 und 1891 eine eigene Zeitschrift in drei Sprachen heraus, deren deutsche Ausgabe den Titel „Japanischer Formenschatz“ trug und zahlreiche Illustrationen nach Vorlagen von Hokusai und Hiroshige enthielt. Zweifellos vom Erfolg der Zeitschrift angeregt, veröffentlichte der Vielschreiber Edmond de Goncourt 1896 die erste Monografie zu Hokusai überhaupt. Fünf Jahre zuvor stellt er Utamaro (1753-1806) als „Peintre des maisons vertes“ vor: „Grünes Haus“ ist die japanische Umschreibung für Freudenhaus. Das spielt auf den „niederen“ Charakter der Ukiyo-e an, die die Beschäftigungen und Vergnügungen des Alltags zeigen, ohne moralische Wertung, allein aus der Freude an Sujet und Darstellung.

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