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Durchaus ein Kulturoptimist. Jaron Lanier forscht derzeit für Microsoft.

© dpa

Jaron Lanier erhält Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Jede neue App macht ein bisschen unfreier

Der Autor und Blogger Jaron Lanier ist ein enthusiastischer Anhänger der digitalen Technologien - und gleichzeitig einer der klügsten Internetkritiker. Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse wurde ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen.

Als die ARD ihre Live-Übertragung von der Friedenspreisverleihung aus der Frankfurter Paulskirche schon beendet hat, beglückt Jaron Lanier das geladene Publikum vor Ort noch mit einer kleinen musikalischen Einlage. Er spielt auf der Khaen, einem laotischen Holzblasinstrument, mit dem Lanier auch die Tage zuvor auf der Buchmesse seine Auftritte abschließend garniert hatte.

Das wirkt skurril, so wie überhaupt die Erscheinung Laniers aus dem Rahmen dieser Feierstunde mitsamt ihrer Kleiderordnung fällt: die langen Dreadlocks, die blaue Brille mit den gelben Bügeln, das blaue Amulett, das schwer auf Laniers schwarzen T-Shirt liegt und ihm Krawatte oder Fliege ersetzt. Aber natürlich will Lanier mit der Khaen nicht nur demonstrieren, dass er alte Musikinstrumente aus aller Welt sammelt und auch zu spielen beherrscht, sondern dass es lohnt, Altes zu bewahren und wertzuschätzen, gerade im Angesicht des Neuen, der digitalen Technologien, die die modernen Gesellschaften so grundlegend und allumfassend verändern.

„Der Anspruch, dass alte Vorrechte über Bord geworfen werden müssen – etwa Datenschutz oder die Errungenschaften der Arbeiterbewegung –, um neuer technologischer Effizienz Platz zu machen, ist grotesk“, sagt Lanier dann auch in seiner Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Oder: „Ständig werden wir mit den Gegensätzen von Alt und Neu konfrontiert, ständig müssen wir uns entscheiden. Doch diese Entscheidungen sind falsche Entscheidungen! Die einzig ethische Option ist die Synthese aus dem Besten der prä-digitalen und der digitalen Systeme.“

Laniers Auszeichnung ist ein politisches Signal

Es sind Sätze, die sich problemlos unterschreiben lassen, wie so manches aus dieser Rede, die Lanier an diesem Sonntagmorgen nach der Laudatio des Europa-Parlamentspräsidenten Martin Schulz und einem Grußwort von Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller hält. Mit seiner Dankesrede erweist Lanier sich einmal mehr als Internetkritiker genauso wie als Immer-noch-Anhänger der neuen Technologien, als durchaus treuer „digitaler Aktivist“. Zum Beispiel spricht er davon, „entzückt“ von der Idee zu sein, „eines Tages könnte es Bücher geben, die sich mit virtuellen Welten synchronisieren“. Und er glaubt, dass „digitaler Kulturoptimismus“ mitunter durchaus angebracht sei – nicht zuletzt hat Lanier im Moment eine Forschungsstelle bei Microsoft inne.

Seine Technogläubigkeit hatte gerade nach der Bekanntgabe des Friedenspreises an ihn für Kritik gesorgt. Hier würde ein Computerentwickler ausgezeichnet, schrieb Florian Cramer im „Merkur“, der „Zeit seines Lebens versucht hat, Computer und digitale Medien von der Dominanz der geschriebenen Sprache zu befreien“; andere Vorwürfe lauteten, Lanier würde für viele digitale Problemfelder auch nur technische Lösungen anbieten wollen, er sei alles andere als ein scharfer Kritiker des digitalen Kapitalismus.

Trotzdem darf man den Friedenspreis an Lanier als „politisches Signal“ verstehen, wie es der im Juni verstorbene „FAZ“-Herausgeber und von Lanier auch erwähnte („er wird uns schrecklich fehlen“) Frank Schirrmacher getan hat: an jemand, der im Silicon Valley quasi groß geworden ist. Der aber eben nicht mehr nur beglückt, sondern höchst skeptisch in die digitalen Räume blickt. Und „der Zeugnis ablegt über die Zeit, in der wir leben“, wie es Riethmüller als eine der Voraussetzungen für einen Friedenspreisträger nennt, „der Inhumanes aufzeigt“.

Lanier ist Analytiker und Mahner zugleich

Genau das macht der 1960 als Kind von zwei Holocaust-Überlebenden in New York geborene Lanier in einigen Passagen seiner Rede, die ein Extrakt seines Buches „Wem gehört die Zukunft?“ ist. Er ist Analytiker und Mahner zugleich. Manches drückt Lanier auch in Frankfurt etwas verschwurbelt aus, manchmal wirkt es, als würde er vor allem nur mit Seinesgleichen debattieren, als käme er aus seinem digitalen Gefängnis nicht raus. Zum Beispiel schlägt er vor, Computer so behandeln, „als wären sie weniger-als-menschlich“. Oder, dass die Cyber-Technologen wenigstens so tun sollten, „als würden sie an die menschliche Besonderheit glauben, nur um zu sehen, wie es sich anfühlt.“ Diese „neue Art von Humanismus“, der sich Lanier verpflichtet fühlt, wirkt etwas weichgezeichnet – oder ist einfach nur schlicht, wenn er die Besonderheit des Menschen betont, dass „Menschen mehr als Maschinen und Algorithmen“ seien.

Aber seine Kritik an „Big Data“, an Datensammlern wie Google oder Facebook und ihrer nicht nur ökonomischen, sondern ihrer gleichsam Politik, Gesellschaft und Kultur verändernden Macht ist frappant und luzide. Auch sein Humanismus konturiert sich da schärfer: „Dem Traum einer maschinenzentrierten Zukunft zuliebe müssen die echten Menschen anonymisiert und vergessen werden. Dieser Trend lässt die Bedeutung von Urheberschaft schrumpfen, doch über kurz oder lang schrumpft auch die Wirtschaft im Ganzen, während die Entwicklung nur die reich macht, denen die größten Spionagecomputer gehören.“

Jeder zunächst positive Netzwerkeffekt, jede tolle App macht gleichzeitig auch ein bisschen unfreier, so Lanier weiter – und „plötzlich müssen wir uns gefallen lassen, überwacht zu werden, um ein E-Book zu lesen! Auf was für einen eigentümlichen Handel haben wir uns da eingelassen!“ Mit solchen Ausrufen ist Jaron Lanier natürlich hier genau richtig, beim unermüdlich den Online-Buchhändler Amazon und dessen Monopolstreben kritisierenden Börsenverein und seiner Preisverleihung – und da versteht am Ende jeder sein Spielen auf der Khaen als stellvertretend für das Schreiben und Lesen eines Buches, eines gedruckten Buches wohlgemerkt. Analog ist super!

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