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Einladung zum Maskenball. Der Pianist Jason Moran im Haus der Berliner Festspiele.

© 360-Berlin/Daniela Wittenberg

Jazzfest-Abschluss: Neue Freiheit

Es bleibt ein unerlöstes Sehnen zwischen Tradition und Moderne. Zum Abschluss des 50. Berliner Jazzfests, das wieder mehr Kontur bekommen hat.

Es sind große Steine, die sich das Jazzfest Berlin aus Anlass eines doppelten Jubiläums auf die Schultern geladen hat: 25 Jahre nach dem Fall der Mauer feiert das renommierteste unter den deutschen Jazzfestivals sein 50-jähriges Bestehen (und ganz nebenbei eine Art Centennial des Jazz und seines individualistischen Freiheitsbegriffs). Solche Steine können drücken, am stärksten in den „Freedom Songs“, dem Programm der WDR Big Band mit dem Sänger Kurt Elling als Gast am Samstagabend auf der Hauptbühne des Hauses der Festspiele.

Im Zentrum des Programms steht an diesem Abend die „Freedom Suite“, die dem Begriff „Freiheit“ weder textlich noch musikalisch gewachsen ist. Indem Richard DeRosa, der neue, 1955 in New York geborene Chefdirigent der WDR Big Band, Textfragmente von höchst unterschiedlichen Rednern wie Martin Luther King, John F. Kennedy, Mahatma Gandhi und Ronald Reagan, den Sklaven haltenden Vätern der US-Verfassung und Nelson Mandela unterschiedslos ineinander verschränkt, verschmilzt er sie zu einem Potpourri schöner Worte, in dem alles auch sein Gegenteil bedeutet. Keine Spur hier mehr von der Geschichte der Kämpfe um Freiheit und Gleichberechtigung, der die afroamerikanischen Urväter des Jazz mit dem Freiheitsstreben und der Courage der Bürger der einstigen DDR kurzschließt und vielleicht auch mit all den Völkern, die heute um ihr Leben und ihre Freiheit kämpfen.

Die zahnlose Musik, die Richard DeRosa zu seinem Einstand schrieb, kann diese Suite auch nicht retten. Das Publikum reagiert mit dem Rückgriff auf eine Tradition aus der Frühphase des Jazzfests: Laute Buhrufe schon nach dem zweiten Stück. Ein Teil des Publikums will mehr als freundlichen Jazz, in dem sich hin und wieder ein Schaufenster für das austauschbare Solo eines brillanten Musikers öffnet. Das ist schon einmal eine gute Nachricht, und die anhaltenden Debatten über dieses missglückte Projekt sind die zweite. Nur Kurt Elling, der Sänger, der den Unmut des Publikums auffangen muss, kann einem leid tun.

Jason Morans Auftritt war einer der Sternstunden dieses Jahr

Genau dieses Mehr hatte das Publikum direkt davor erlebt, bei einer der Sternstunden dieser Jubiläumsausgabe des Jazzfests. Im Konzert des in Paris lebenden Schweizer Schlagzeugers Daniel Humair, eines Musikers, der seit dem Debütfestival vor 50 Jahren nun zum 18. Mal auf der Berliner Bühne steht, agieren Humair und seine drei jungen Kollegen wie von einer unsichtbaren Intelligenz gelenkt, schlagen Wege ein, reagieren aufeinander, gehen gemeinsam weiter, biegen ab, links rum, rechts rum, kraftvoll, sensibel, gelassen, offen für den Moment und das Publikum. Jung und alt, in Humairs Sweet & Sour Quartett kommen die Generationen zusammen, geben einander Anstoß und nutzen den Generationenabstand zu einer quicklebendigen, hochspannenden Musik.

Ein ähnliches Phänomen lässt sich zu vorgerückter Stunde auch in den beiden Projekten beobachten, die sich mit Eric Dolphy beschäftigen, dem Monolithen der Jazzmoderne, der durch seinen plötzlichen Tod in Berlin im Gründungsjahr des Festivals zu einem heimlichen Gründervater des Jazzfests wurde.

Während das Pianistenpaar Aki Takase und Alexander von Schlippenbach sich in ihren Bearbeitungen von Kompositionen des Saxofonisten auf ein Septett mit einem klassischen Bass-Schlagzeug-Tandem als rhythmischem Anker stützen, der es ihnen und den vier Bläsern im Ensemble erlaubt, ohne Rücksicht auf Zaunpfähle die Grenzen der Kompositionen auszuloten, wählt die Saxofonistin Silke Eberhard mit ihrem erweiterten Potsa Lotsa-Ensemble einen schwierigeren Weg: gestützt nur auf ein Fundament aus Tuba Posaune, zelebriert sie Eric Dolphys halsbrecherische Intervallsprünge und ins Abstrakte driftende Harmonien als ein Landschaftsbild aus zerrissenen Schnipseln und skizzenhaften Melodieentwürfen. Bei aller Liebe: Es bleibt ein unerlöstes Sehnen in der Luft, ein Rest von Drang zur Veränderung, zur Freiheit, zum Leben.

Der Abschlussabend fasst das Konzept des nach drei Festivaljahren scheidenden Künstlerischen Leiters Bert Noglik noch einmal bündig zusammen. In seinem Trio Bandwagon entfaltet der Pianist Jason Moran eine Energie geladene Vision des Zusammenspiels im Klaviertrio, das wenig mehr verlangt als eine Phrase, die er über die Tastatur verschiebt bis sie alle Ladung aufgenommen hat und in einer kleinen Arabeske zerplatzt.

In einem zweiten Set mit einer erweiterten Band, zieht Moran sich eine überdimensionierte Maske über, und schon wird eine Party gefeiert. Ausgehend von Kompositionen von Fats Waller, einem Popstar des frühen Jazz, groovt Jason Moran los, speist die immer weiter variierten Riffs ins rhythmische Geschehen und zielt auf jenen Zustand des Kontrollverlusts, der sich in tänzerischen Bewegungen entlädt. Das Programm „Red Hot“ der zum Septett aufgestockten Mostly Other People Do The Killing schließlich begibt sich schnurstracks in einen heiklen Clinch mit dem ganz frühen Jazz: ein klassischer Two-Beat-Rhythmus trifft hier auf Improvisierhaltungen, die den Jazz zurückverwandeln in eine großen Sandkasten, in der die schönsten, überraschendsten Formen hergestellt werden sollen. Allerdings haben zu diesem Sandkasten nur erstklassige Musiker Zutritt, die das Spielen mit vollem Ernst betreiben.

Bert Noglik hat dem Jazzfest Kontur gegeben. Seine Botschaft ist auf fruchtbaren Boden gefallen: Im Jubiläumsjahr konnte mit mehr als 7000 verkauften Karten ein Publikumsrekord aufgestellt werden, fast alle Konzerte waren ausverkauft. Und der Akzent auf die Verschränkung von Tradition und Moderne, mit dem Bert Noglik während seiner Amtszeit das Jazzfest aus dem Tal der Beliebigkeit holte, treibt Blüten aus. An der Schwelle zum zweiten Jahrhundert des Jazz wird deutlich, dass Musiker, die die Tradition sehr genau kennen, an der Spitze der Erneuerung des Jazz stehen. Darüberhinaus haben sich einstige Grenzlinien zwischen Alt und Jung, Ost und West, Amerika und Europa längst verwischt.

Nun stellt sich die Frage, in welche Richtung der designierte Festivalleiter, der Londoner Journalist Richard Williams das Jazzfest steuern wird.

Stefan Hentz

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