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Kultur: Je weniger wir leben, desto mehr wird geträumt

Tiefenbohrung im Dunklen: Andrea Breth inszeniert Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“ in Stuttgart als Seelendrama

Dunkle Wolken hängen über Böhmens Hain und Flur. Schließlich bleibt es nicht aus, dass sie sich über dem ganzen Theaterabend zusammenbrauen. An der Staatsoper Stuttgart, diesem Haus der unvergleichlichen Erfolge, hat Andrea Breth jetzt „Die verkaufte Braut“ inszeniert, eine Erfolgsregisseurin auch sie, die gerade mit ihrer „Emilia Galotti“ vom Wiener Burgtheater zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden ist.

Die Nachdenklichkeit, die Breth auszeichnet, führt sie im Fall des Singspiels von Bedrich Smetana zu einer „gewissen Tiefenbohrung“, der keine aufregenden Neuigkeiten über das Werk entspringen. Gewiss: Die Verhältnisse der Geschichte sind eben keineswegs heil, wo man sein Mädchen verschachern muss, um es heiraten zu können. Die List des scheinbaren Brautverkaufs, die Hans in dieser Sache anwendet, ist beinahe im Stande, seine Bindung an Marie zu zerstören. Aber das ist anderen Regisseuren auch schon aufgefallen, Thomas Langhoff in München zum Beispiel, der das Stück dennoch „aus Liebe“ inszeniert hat. Jenseits von Töpfen und Trachtenröcken naturgemäß. Aus Liebe aber zu einer Musik, die Fröhlichkeit einlässt, die eine Fülle an sublimierter Folklore aus Smetanas ureigenster Erfindung ausbreitet, die Charaktere zeichnet, ob kupplerisch wie die Eltern des einander versprochenen Paares, geschwätzig wie den Heiratsvermittler Kecal oder stotternd wie den armen kleinen Wenzel.

Dass der kein Dorftrottel ist, sondern nur ein von Lautangst, einer nervösen Sprachstörung, behinderter junger Mann, wird bei Andrea Breth verführerisch ausgemalt: Die Kongruenz der Gefühle zwischen Marie, der Braut eines anderen, und Wenzel, dem verhinderten Bräutigam, lässt die beiden einander in die Arme fallen: eine unverhoffte Liebesszene im Duett, als sollte gesagt werden, „bei Männern, welche Liebe fühlen, fehlt auch ein gutes Herze nicht.“ Schnitthaft und skizzenhaft ziehen die Bilder (Ausstattung: Karl Kneidl) vorüber: die schwarz gekleidete Dorfbevölkerung, der weiße Kirchturm, der wie ein Traumbild in die musikalische Polka fährt. Auf dem Bauernhof der Brauteltern tanzt langsam ein betagtes Paar, die Großeltern auf dem Altenteil. Generationen mischen sich, ohne dass Veränderung aufgeht. Eine Männergesellschaft, die ihr Bier aus deutlich leeren Gläsern zischt, weil die Poesie sich immer wieder von der Realität entfernen will.

Entsprechend kommt es zu der unglaublichen Wirkung, dass die Trinker sich Knall auf Fall in Bierleichen verwandeln, während eine groteske Ballerina durch den böhmischen Nationaltanz geistert. Die Komödiantentruppe hat sich die ungemütlichste Gegend für ihre Werbung ausgesucht: ein einsamer greiser Zirkus-Striese steht auf verlorenem Posten in einer Ödnis aus Bahngleisen und Telefonmasten, einsam wie das meiste in dieser Oper, um von seinen Leuten allerhand Lebendgetier, darunter drei putzige, dressierte Gänse, vorführen zu lassen.

Warum aber das ganze grau in grau? Weil Andrea Breth eine „tief melancholische“ Angelegenheit, die gefährdete Liebe von Marie zu Hans, dermaßen zum Hauptstrang ihrer Bühnenerzählung macht, dass die breit getretene Absicht verstimmt. Am Anfang liegt Marie ohnmächtig am Boden, während die Musik feurig loslegt, und ihr Liebster merkt nicht mal, dass er, Pistazien knabbernd, über ihren Körper steigt. Am Ende segnet der Vater ein unglückliches Brautpaar, das die Blicke voneinander abwendet. Eine solche Konzeption lässt keine Überraschungen mehr zu, es sei denn, dass weitere Traumbilder auf die Kindheit des Paares verweisen: je weniger erlebt wurde, desto mehr wird geträumt.

Wenn Stefan Soltesz am Pult des Staatsorchesters Stuttgart sich in die Ouvertüre stürzt, um das geniale Fugato mit folkloristischer Tanzseligkeit zu verschwistern, schwingt die Interpretation von vibrierendem Leben. Im folgenden aber gibt es viel musikalisches Gepolter, das die Sänger zum forcieren verleitet, auch Koordinationsprobleme mit dem ruhmreichen Stuttgarter Chor. Die leichten Tenöre wie Bernhard Schneider als Wenzel und Roderic Keating als Zirkusdirektor haben das naturgemäß gefälligere Spiel im Vergleich mit den größeren Stimmen, die an ihre Grenzen getrieben werden. Albert Bonnema als Hans kann stimmliche Schärfen nicht vermeiden, was seinem Leichtfuß in der Darstellung, der sich dauernd Zigaretten dreht, wo Wichtigeres zu überlegen wäre, seltsam widerspricht. Maries As-Dur-Arie „Mein Liebestraum“ singt Eva-Maria Westbroek mit lyrischer Linie, die indes auch ihr kein volles Gelingen beschert, wo die Stimme wegbricht. Der Kecal des Wolfgang Probst bleibt in seiner Derbheit sonderbar blass. Die Elternpaare – gesungen von Karl-Friedrich Dürr, Margarete Joswig, Mark Munkittrick und Carmen Mammoser – treten im Sextett „Überleg dir’s Marie“ mit Kecal und Marie besinnlich hervor, diesem Juwel eines solistischen Opernensembles. Dann wird die Titelheldin wieder ohnmächtig, während ihr Hans frei wie der Vogel um sie herum tanzt.

Andrea Breths „Tiefenbohrung“ im Dunkeln, dramaturgisch betreut von Intendant Klaus Zehelein, bekennt sich eindeutig zum Seelendrama. Das heißt: kritische Sicht auf einen Teilaspekt des Stücks. Was die fröhlichen Landmänner und Landfrauen sonst noch umtreibt, ihre Intrigen, Bauerntänze und improvisierten Feste, spielt sich in Traumszenen und laufenden Bildern ab. Damit wird die Ganzheit dieser sprudelnden tschechischen Nationaloper von der Aufführung unter den Scheffel gestellt.

Sibyll Mahlke

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