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Kultur: Jenseits von Gut und Bushido

Patrick Wengenroth zeigt „Also sprach Zarathustra“ in der Schaubühne – und spielt selbst den Nietzsche.

Von Sandra Luzina

„Es gibt kein Recht auf Nicht-Überforderung“ formuliert der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem jüngsten Werk „Du musst dein Leben ändern“. Dieser Satz hat Patrick Wengenroth sofort eingeleuchtet. „Sloterdijk fasst hier bündig meine private Erfahrung von Welt in den letzten Jahren zusammen“, sagt der Regisseur. Und fügt lächelnd hinzu: „Was er uns aufbürdet, ist die komplette Anti-Wellness.“

Der Hamburger Wengenroth, Jahrgang 1976, ist mit der Regisseurin Friederike Heller verheiratet, das Paar hat zwei Kinder. Seine Frau inszeniert gerade in München. Also hat Wengenroth an diesem Morgen zuerst seine Tochter in die Kita und seinen Sohn zur Schule gebracht und ist dann zur Probe geeilt. Sein Nietzsche-Abend an der Schaubühne hat an diesem Montag Premiere, doch Wengenroth wirkt völlig entspannt.

Die Sloterdijk-Sentenz lässt sich auch auf seine Arbeitsmethode anwenden. Innerhalb von zweieinhalb Wochen haut er Theaterabende mit „maximal schwierigen Texten“ raus. Zuletzt hat er in Karlsruhe aus Peter Sloterdijks mehr als 700 Seiten starkem Werk „Du musst dein Leben ändern“ einen unterhaltsamen Theaterabend mit Trainingscharakter extrahiert. Der Philosoph selbst trat in Gestalt einer Handpuppe auf. Durch Sloterdijk und sein Plädoyer für den Lebensakrobaten ist er nun auf Nietzsche gestoßen. Den späten Nietzsche. „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.“ Solche Töne werden angeschlagen in „Also sprach Zarathustra – Eine Übermensch-Revue für Alle und Keinen“.

Wengenroth, der die Camouflage liebt, hat sich extra den Bart zum Philosophen-Schnäuzer gestutzt. Er selbst wird als Nietzsche den Abend eröffnen – und sich am Ende in Lou Andreas-Salomé, Nietzsches angebetete Schülerin, verwandeln. Die Schauspieler Christoph Gawenda, Ulrich Hoppe, Sebastian Nakajew und Felix Römer betreten dann die Pathos-Bühne. Gleich vier Zarathustras verkünden hier Nietzsches Lehre vom Übermenschen.

Nun widmet sich Wengenroth nicht seit jeher den Meisterdenkern. Bekannt wurde er als Erfinder des Labels „Planet Porno“. Für das Theater-Show-Format hat er auf hinterhältige Weise Originalzitate aus Interviews, Fernsehauftritten und Autobiografien collagiert. Ergüsse von Stefan Effenberg, Oliver Kahn, David Hasselhoff oder Porno-Star Teresa Orlowski. Wasserstandsmeldungen zur allgemeinen Verblödung sind die „Planet Porno“-Abende. Schön, dass das Reservoir an blühendem Schwachsinn unerschöpflich ist.

Doch diesmal wird er fast ausschließlich Auszüge aus dem Zarathustra-Buch verwenden. „Ein wahnsinnig toller Text“, schwärmt Wengenroth, der den Nietzsche schon fast auswendig kann. Die poetische Sprache des „Zarathustra“ hat ja von Anfang an die Künstler begeistert. Aber Nietzsches Pathos ist auch sehr komisch, findet Wengenroth. Er wird in dem Intro, wo er sich als Nietzsche dem Publikum vorstellt, einen Plauderton anschlagen, doch er beabsichtigt keineswegs, den „Zarathustra“ auf Alltagssprache herunterzubrechen.

Eine Banalisierung stellen dagegen die Lieder dar, denn es ist auch ein sehr musiklastiger Abend geworden. Der Hamburger Matze Kloppe, ein langjähriger Mitstreiter Wengenroths, hat bekannte Lieder neu arrangiert. Zu den Song-Philosophen, mit denen hier die Lehren Nietzsche kommentiert und kontrastiert werden, gehören Udo Jürgens („Treibjagd“), Xavier Naidoo („Frei sein“) und Stefan Suhlke („Vergessen“). Und es ist schon irrsinnig komisch, wenn Zarathustras Empfehlung an Ehepaare: „Nicht fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf!“, hart gegengeschnitten wird mit Sidos Rap- Song „Ficken“. Das ist Wengenroths Methode: mutwillig zusammenzuzwingen, was nicht zusammengehört. So entsteht Reibung.

Er wolle zeigen, wie viel Zarathustra in einem Udo-Jürgens-Lied steckt und umgekehrt, wie viel Bushido oder Sido in Nietzsche ist, sagt Wengenroth und grinst. Darin erschöpft sich der Abend allerdings nicht. „Die Lehre vom Übermenschen ist in Zeiten von Guttenberg und Breivik wieder aktuell“, so begründete er anfangs seine Auseinandersetzung mit Nietzsches gefährlichem Denken. Nicht die Vereinnahmung durch die Nazis interessiere ihn, sondern „das faschistische Potenzial in irgendwie gearteten Elitegedanken. Wo sich jemand die Frage stellt: Wie kann ich die Menschheit verfeinern?“

Dass der Mensch überwunden werden muss, das sei immer noch der entscheidende Satz, sagt Wengenroth. Doch er wird keine Linie zu dem Massaker in Utöya und Oslo ziehen, keine Zitate aus Breiviks wirrem Manifest verwenden. Und er wird, auch wenn es ihn schmerzt, wohl auch die Passagen aus Oliver Kahns Buch „Ich“ wieder rauswerfen.

In Nietzsches Bild vom Übermenschen, so hat es Rüdiger Safranski in seiner ausgezeichneten Biografie dargelegt, verbirgt sich ein existenzielles Drama. Auch Wengenroth will die Triebfedern von Nietzsches Denken beleuchten, von seinen Kränkungen und seelischen Verletzungen erzählen. „Wir wollen zeigen, wie sehr er geknechtet war aufgrund seiner Krankheitsdisposition“, erklärt Wengenroth. Ein strahlender Geist in einem gebrechlichen Körper – dieser Widerstreit interessiert ihn.

Angedeutet wird auch die unselige Geschichte mit Lou Andreas-Salomé. „Nietzsche wird zwei Mal abgewiesen, dann geht er nach Sils Maria und haut den ersten Teil des ,Zarathustra’ raus.“ Der Philosoph, der immer wieder mit Masken und Rollen spielte, flüchtet sich in martialische Fantasien von Größe und Selbstermächtigung. So handelt der Abend auch von der „Hybris des Mannes“, sagt Wengenroth.

Nietzsches Denken zu überprüfen – das will die Übermensch-Revue, die eine Gratwanderung ist zwischen Intellektualität und Komik. Es geht also nicht nur darum, den Verkünder des „Willens zur Macht“ lächerlich zu machen. Zum Papiertiger schrumpft Nietzsche an diesem Abend nicht. Wengenroth kann dem „Zarathustra“ durchaus etwas abgewinnen. Er liest den Text als Aufforderung: „Behalte deine Angst, behalte deine Tag- und Nachtseiten. Beschäftige Dich damit: Du hast das Potential zu töten – und zu lieben.“

Mo 16.1., 20 Uhr (Premiere), wieder Di 17. und Mi 18.1. jeweils 20.30 Uhr

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