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Kultur: Jetzt bist du wieder hier!

Mit Berggruen kehrt der kosmopolitische Geist nach Berlin zurück / Von Peter-Klaus Schuster

Mein Bild von Heinz Berggruen ist geprägt vom Privileg einer gewissen Nähe ebenso wie vom Gefühl völlig ungewisser Unnahbarkeit. Aus diesem Wechselspiel zwischen liebenswürdigster Nähe und nicht weniger liebenswürdiger, aber uneinholbarer Ferne komponiert sich mein Bild von Heinz Berggruen als Rätselbild. In eben diesem Rätsel liegt ein Teil jener Faszination, die Berggruen auf uns alle ausübt.

Berliner von Geburt, Amerikaner aus Notwendigkeit und Franzose aus innerster Neigung, auch mit dieser Formel wird man Berggruen kaum gerecht. Denn wenig hat ihn so geprägt wie Amerika. Die Entdeckung der Bildenden Künste, die Entdeckung Paul Klees, ja die Entdeckung Europas als dem Reich einer unstillbaren Sehnsucht, all das geschah bei Berggruen in Amerika. Von Paris aus, wo er seit 1947 zu seinem eigentlichen Beruf als Kunsthändler und seiner Berufung als Sammler fand, entdeckte er dann seit den 60erJahren die Vorzüge des american way of life.

Wer je beobachtet hat, wie unprätentiös sich Berggruen mit den Besuchern seiner Sammlung im Stülerbau ins Gespräch begibt, bemerkt seine amerikanische Schulung. Wer zugleich wahrnimmt, mit welcher Distinktion er sich jeglicher Vertraulichkeit im Gespräch zu entziehen weiß, der spürt die Wirkungsmacht französischer Politesse. Und schließlich Berlin. 1914 in Wilmersdorf geboren und 1937 als jüdischer Bürger zur Emigration gezwungen, ist Berggruen mit dem Berliner Westen bis in die Abfolge der Straßennamen noch heute weit besser vertraut als jeder Zugereiste. Das Paradies seiner Kindheit und Jugend in Berlin blieb ihm unauslöschbar. Diese Erinnerung konstituiert Heimat, aus der man zwar vertrieben werden kann. Die Heimat selbst aber, die Erinnerung an eben die vielen kleinen Dinge wie Namen, Töne, Gerüche Gesichter, Straßen, Plätze oder Häuser, kann nach dem Bekenntnis Berggruens – frei nach Jean Paul – nicht aus den Menschen vertrieben werden.

Dieses Bekenntnis zu Berlin war auch Thema jenes inzwischen legendären Dialogs zwischen Berggruen und Helmut Newton. Als dieser auf der Suche nach einem Ort für sein fotografisches Werk in der einstigen Kunstbibliothek in der Jebenstraße aus dem Fenster auf die Gleise des Bahnhofs Zoo blickte, bemerkte Newton erstaunt: „Dort drüben bin ich im Dezember 1938 nach Singapur ausgewandert.“ Heinz Berggruen vollendete Newtons Bemerkung unnachahmlich lakonisch: „Und jetzt bist du wieder hier.“

Mit Heinz Berggruen und durch ihn kehrt jener kosmopolitische Geist nach Berlin zurück, der diese Stadt bis in die Zwanziger- und beginnenden Dreißigerjahre auszeichnete. Berggruen ist der illusionslos nüchterne und zugleich höchst gewinnende Bürger mehrerer Welten, des alten wie des neuen Europa, dessen Impuls er besonders in Berlin zu spüren meint, jemand, der in der Vergangenheit entschieden für die Zukunft lebte und der auch in Zukunft die Vergangenheit nicht vergisst. Heinz Berggruen wird immer mehr Heinz Berggruen. Staunend und dankbar erleben wir das Bild seiner Vollendung.

Der Autor ist Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin. Sein Text wird in erweiterter Form auch als Einleitung einer Berggruen-Festschrift im Berliner Nicolai Verlag erscheinen.

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