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Hermannsschlacht

© AKG

Jubiläum: Der Mann, der Deutschland erfand

Ein Mythos wird gefeiert: Vor 2000 Jahren verlor Varus eine Schlacht – und Hermann wurde zum Helden der Nation.

Von Andreas Austilat

Hier könnte es sich zugetragen haben, im Osnabrücker Land, zwischen Weser und Ems. Ganz sicher sind sich die Gelehrten noch heute nicht. Immerhin, eine Menge römischer Münzen hat man gefunden, geprägt zwischen den Jahren sieben und neun nach Christus. Dazu das Gerippe eines Maultiers. Im Sommer fraß es noch friedlich sein Heu, im Herbst, den Zeitpunkt ergab eine Isotopenuntersuchung der Zähne, ist es mitten im Kampfgetümmel einen schlammigen Wall hinuntergerutscht und hat sich dabei den Hals gebrochen, das unglückliche Tier.

Im Herbst, das passt. Denn im September des Jahres neun, so berichten es antike Chronisten, soll er untergegangen sein: Varus, römischer Feldherr, mit seinen drei Legionen, geschlagen vom Germanen Arminius. Es regnete angeblich, und die Sicht war schlecht. Ob es wirklich so war? Schlechte Platzverhältnisse und schlechtes Wetter, so reden sie immer, die Verlierer, wenn etwas gründlich in die Binsen geht. Doch ohne die römischen Autoren wüssten wir gar nichts über jenes Ereignis vor 2000 Jahren.

Die Sieger blieben stumm. Erst ihre Nachfahren meldeten sich zu Wort. Von einem „Wendepunkt europäischer Geschichte“ sprach Theodor Mommsen, einen „Urknall“ nennt gar Hans Ottomayer, Direktor des Deutschen Historischen Museums, das Gemetzel zwischen Römern und Germanen. Folgerichtig fängt die Geschichte der Deutschen im Haus Unter den Linden auch damit an. Kommt der Besucher die Treppe hoch, fällt sein Blick auf das Grabmal für Marcus Caelius, Centurio der 18. Legion, gefallen mit 53 Jahren im Krieg des Varus.

Gleich drei Museen bereiten sich derzeit darauf vor, das 2000. Jubiläum gebührend zu feiern: Haltern am See, einst römische Garnison, Kalkriese im Osnabrücker Land und das Lippische Landesmuseum in Detmold, ein wenig ins Abseits geraten, seit die antike Schlacht nicht mehr im Teutoburger Wald lokalisiert wird. Von Mai bis Oktober soll die Dreifach-Schau gehen, Angela Merkel hat die Schirmherrschaft übernommen. Dazu gibt es ein halbes Dutzend Neuerscheinungen, weitere werden folgen.

Für das antike Rom war es ohne Frage eine Katastrophe, was sich da vor 2000 Jahren ereignete. Drei römische Legionen, mindestens 15 000 Mann, wurden vernichtet. Das wären ungefähr zehn Prozent des gesamten Heeres. Würden die USA binnen drei Tagen 50 000 Soldaten verlieren, es wäre eine vergleichbare Niederlage. Aber war dieser „Urknall“ wirklich „Die Geburt der Deutschen“, wie der „Spiegel“ unlängst titelte?

Schon kurze Zeit nach der Schlacht zeigte Rom, wozu eine antike Supermacht imstande war. Fünf andere Legionen wurden andernorts abgezogen und eilends an den Rhein gebracht, eine sechste neu aufgestellt, auch wenn die Rekruten erst mühsam in Arrestzellen und den Hinterzimmern römischer Kneipen zwangsrekrutiert werden mussten. Die Aussicht, in den von römischen Autoren gern als düsteres Feuchtgebiet charakterisierten Norden zu marschieren, war offenbar wenig verlockend.

Der römische Feldherr Germanicus zog mit dieser Truppe brandschatzend kreuz und quer durch die aufständische Provinz. Arminius mit seinen germanischen Stämmen setzte ihm zu, brachte ihn gar an den Rand einer Niederlage, aufhalten konnte er ihn nicht. Doch schließlich rief der Kaiser seinen Feldherrn trotzdem ab. Dessen Vergeltungszüge zwischen Rhein und Elbe kamen zu teuer. Die Leistung des Arminius bestand gerade darin, es den Römern so teuer gemacht zu haben. Geholfen hat ihm das Land dabei auf seine Weise. Germanien gab einfach nicht genug her, ein Heer wie das römische zu versorgen: Da jeder Soldat nicht nur seinen täglichen Getreidebrei brauchte, sondern auch noch 90 Schuhnägel auf 500 Kilometer, musste die Truppe stets einen gewaltigen Tross mit sich führen.

Die Römer zogen sich hinter den Rhein zurück. Plinius schimpfte, das Schicksal habe die Stämme östlich des Rheins „nur deswegen von der römischen Herrschaft verschont, um sie zu strafen“. Er meinte wohl den Wein und die Badeanstalten, die Walnuss und den Spargel, die den Germanen jenseits der Grenze erst einmal versagt blieben. Es gibt Historiker, die heute noch im Rückzug der Römer einen Standortnachteil für die Germanen jenseits von Rhein und Donau sehen. Die gründeten kein Königreich. Im Gegenteil, der Führer ihres Aufstands, Arminius, wurde von den eigenen Leuten ermordet, vielleicht, weil sie keinen Alleinherrscher dulden wollten. Sein Volk, die Cherusker, verschwanden von der Bildfläche. Ein ziemlich trister Start für die Geschichte der Deutschen.

1500 Jahre nach der Schlacht stößt Ulrich von Hutten, Dichter, Ritter und erklärter Papstfeind, ausgerechnet in Rom auf ein Manuskript. Es sind die Annalen des Tacitus. Der römische Geschichtsschreiber um die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert beschrieb zwar nicht die Schlacht des Varus, sein Werk fängt erst sechs Jahre später an, aber er schildert ausführlich die Taten des Arminius. „Unstreitig war er der Befreier Germaniens“, heißt es da, „im Kriege unbesiegt.“ Hutten kennt auch ein weiteres Buch des Tacitus, die „Germania“, in der der seinen antiken Zeitgenossen eigentlich kritisch den Spiegel vorhalten wollte und die Germanen zwar als seltsam, aber eben auch als unverbrauchtes Naturvolk charakterisiert. Das ist der Stoff, der nördlich der Alpen seine Leser finden wird.

Die Deutschen, die sich um 1500 von italienischen Humanisten immer noch als Barbaren verspotten lassen müssen, entdecken einen eigenen Nationalcharakter. Die Germanen, die sich nie als Germanen sahen, wurden erst von einem Römer, der nie in Germanien war, dazu gemacht. Ein bisschen erinnert das an Karl May, der das Leben der Indianer beschreibt, ohne sie gesehen zu haben.

Und die Deutschen bekommen mit Arminius einen Nationalhelden, von dessen Existenz sie keine Ahnung hatten. Noch dazu einen, der es denen in Rom mal so richtig gezeigt hat – auf Augenhöhe mit Hannibal und Alexander dem Großen. Huttens „Arminius-Dialog“ begründet den Ruhm des germanischen Helden, fortan spricht man von der Schlacht im Teutoburger Wald, denn dort soll sie laut Tacitus stattgefunden haben. Leider weiß niemand, wo sich jener Wald befand. Melanchthon schlägt als Erster den Osning vor, einen Höhenzug bei Detmold. Erst sehr viel später wird der in Teutoburger Wald umbenannt.

Mit seiner antirömischen Haltung ist dieser Arminius ein protestantischer Held, den auch Hutten-Freund Martin Luther bald verehrt. Er macht den Heerführer als Hermann populär, „ich hab in von hertzen lib“, schreibt Luther. Tatsächlich ist dessen germanischer Name unbekannt. Arminius, so nannten ihn die Römer, denn ausgerechnet in deren Heer hatte der Sohn eines Cheruskerfürsten seine Karriere begonnen. Arminius brachte es bis zum Offizier und Anführer der den Varus begleitenden Hilfstruppen. Was die vermeintliche nationale Erhebung in die Nähe einer Meuterei rückt.

Der Cheruskersohn ist eine Art römischer Internatsschüler, der sogar mit Varus gespeist haben soll und manchen als Verräter gilt. Dennoch taugt er nicht nur zum Nationalhelden, er ist auch Hauptdarsteller in einem Liebesdrama. Tacitus schildert, wie Arminius gegen den Willen seines Schwiegervaters Segestes dessen Tochter Thusnelda entführt und mit ihr einen Sohn zeugt. Segestes verrät die eigene Tochter und den Enkel an die Römer. Als beide im Triumph durch die Straßen Roms geführt werden, wird er das Schauspiel mit ansehen. Das ist der Stoff, der dem Drama das ganze große Publikum beschert, und zwar auf Dauer.

Arminius wird zur Ballade, zum Roman, zur Oper. Schlegel, Wieland, Klopstock, sie alle versuchen sich an Arminius, der immer häufiger zum Hermann wird. Heinrich von Kleist schließlich gibt dem Helden eine neue Richtung. Seine „Hermannsschlacht“, geschrieben 1808 auf dem Höhepunkt der Erhebung gegen Napoleon, wird zum nationalen Erweckungsdrama. Die „Hermannsschlacht“ wird fester Bestandteil des deutschen Bildungskanons. Thusnelda, die geraubte Braut, wird in den Augen gequälter Schüler zur Tussi. Autoren wie Heinrich Heine wird das zu viel: In seinem Wintermärchen dichtet er über den Teutoburger Wald: „Die deutsche Nationalität / Sie siegte in diesem Drecke.“ An Hermanns Erfolg ändert das nichts. Ein Nationaldenkmal soll her, der Bau ist eine einzige Abfolge von Pleiten, Pech und Pannen, aber 1875 erhebt sich der Held 54 Meter hoch über den Teutoburger Wald.

Selbst die deutschen Auswanderer wollen in Übersee ihren Hermann nicht missen und stellen in New Ulm im US-Bundesstaat Minnesota 1897 ein 31 Meter hohes Monument auf, ebenfalls mit erhobenem Schwert. So ist das mit den Germanen. Dank Tacitus konnte sich jeder seinen eigenen Reim auf sie machen, die ideale Projektionsfläche. Heinrich Himmler pflegte seinen Germanenwahn, Hitler träumte davon, Berlin in „Germania“ umzutaufen – auch wenn Arminius bei den Nazis nicht mehr so hoch im Kurs stand. Friedrich Engels hielt das Hermannsdenkmal zwar für ein „kindisches Phantasiegebilde“, in Arminius aber sah er den Befreier Deutschlands gegen römische Fremdherrschaft. Ein Urteil, dem sich die DDR nur anschließen konnte, hatten doch die germanischen Stämme ihre Rolle „bei der revolutionären Überwindung der Sklavenhaltergesellschaft“ gespielt, wie es in einem DDR-Geschichtsbuch hieß. Überhaupt: Waren die Römer nicht so etwas wie die US-Amerikaner des Altertums? Und hatten ihnen die Germanen nicht ihr Vietnam bereitet?

Nun steht die Feier an. Und die Frage, ob es auch anders hätte kommen können: Ob die Deutschen dem Wein den Vorzug gegenüber dem Bier gegeben hätten oder gar eine andere Sprache sprechen würden, wenn Arminius den Römern nicht entgegengetreten wäre. Nun, warum hätten sie das tun sollen? Die Kölner, die Mainzer, die Regensburger, die Deutsch Schweizer und die Österreicher standen Jahrhunderte unter der Standarte Roms und sind trotzdem keine Lateiner geworden. Umgekehrt war Latein auch auf deutschem Boden weit über das Mittelalter hinaus Sprache der Gelehrten, trotzdem hat sich Deutsch als Volkssprache durchgesetzt. Und sind die Deutschen wirklich nur die Nachfahren von Arminius und seiner Gefolgschaft? Stecken in ihnen nicht auch die Gene des skythischen Bogenschützen, des gallischen Reiters oder des iberischen Legionärs?

Wenn das Jahr neun die Geburtsstunde der Deutschen wurde, dann verdanken wir dies einem römischen Geschichtsschreiber. Und allen, die seinen Stoff 500 Jahre lang für ihre Zwecke nutzten.

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