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Jüdisches Museum

© Jens Ziehe

Jüdisches Museum: Dach aus Licht

Tragen und Lasten als Urmotiv aller Architektur: Am Dienstag wird Daniel Libeskinds Glashof für das Jüdische Museum in Berlin eingeweiht.

Diese Hütte ist ein Palast. Ein im Sonnenlicht funkelnder Glas- und Kristallpalast, bei dem selbst tonnenschwere Stahlteile beinahe immateriell leuchten. Erstmals hat Daniel Libeskind, der Meister metaphorisch aufgeladener Architektur, kein Bauwerk geschaffen, bei dem Räume wie herausgeschnitten und Öffnungen wie herausgestanzt wirken aus einer expressiven Bauskulptur. Mit dem neuen Glashof des Jüdischen Museums Berlin thematisiert er vielmehr Tragen und Lasten als Urmotiv aller Architektur – in fast pädagogischer Deutlichkeit. Und mit dem Stützen- und Trägergewirr des neuen Glashofs, diesen lässig elegant geknickten und gezackten Stahlgewittern, bringt Libeskind zugleich das Kunststück fertig, gewohnt bildmächtig zu bauen. Die gläserne Ergänzung des Jüdischen Museums, seines wohl berühmtesten realisierten Baus, ist keine schnöde gerasterte Glasdecke, wie man sie in besseren Bürohäusern über dem Atrium findet, sondern ein gebautes Zeichen: inhaltsgeladen, doch alles andere als bedeutungsschwer.

Libeskinds Entwurf orientiert sich am Bild der Sukkah, der Laubhütte, mit der gläubige Juden beim Laubhüttenfest des Auszugs ihres Volks aus Ägypten gedenken. Vier kräftige Bündel aus je drei dreieckigen Stützen tragen ein Geäst horizontaler Stahlbalken. Auf ihnen lagert das immerhin dann doch recht brav in Rechteckfelder geteilte gläserne Dach – noch mehr Diagonalen hätten wohl zum visuellen Chaos geführt. Mit dem Motiv der Hütte spielt Libeskind übrigens auch im Sinn der klassischen Architekturtheorie des Westens: Als Urhütte besitzt es schon bei Vitruv eine buchstäblich fundamentale Rolle und steht seither für die Anfänge rational motivierten Bauens.

Heute Abend wird Libeskinds 8,2 Millionen Euro teure Superhütte in Anwesenheit des Architekten – der 2003 von Berlin nach New York gezogen ist – von Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Museumsdirektor W. Michael Blumenthal eröffnet. Für über zwei Drittel der Baukosten konnten Sponsoren und Spender eingeworben werden. Grund zum Feiern gibt es genug: Das vom damaligen Bau-Novizen Libeskind seit 1993 spektakulär um das barocke Kammergerichtsgebäude herumgeplante Jüdische Museum findet mit dem überdachten Hof nun endlich baulich und funktional seine Vollendung.

Über Sinn oder Unsinn von Hofüberdachungen bei denkmalgeschützten Altbauten lässt sich lange streiten, im Fall des Jüdischen Museums war sie unumgänglich. Das ursprünglich als Erweiterung des Berlin Museums konzipierte Bauensemble ist – und das war von Anfang an vorhersehbar – nach seiner Umwidmung zum Jüdischen Museum ein Opfer des eigenen Erfolgs geworden. Seit der Eröffnung im Herbst 2001 stauen sich die Besucher am Einlass und zu Beginn des Rundgangs im Altbau. Allein im letzten Jahr kamen 715000 Menschen. Zudem fehlte ein repräsentativer ebenerdiger Raum für Veranstaltungen. Der gerade bei Vormittagssonne überwältigend lichte Hofraum wirkt da wie ein Ventil, wie der Freiraum zum Durchatmen, den es braucht im körperlich und mental fordernden Architekturlabyrinth des Jüdischen Museums.

Libeskind und sein langjähriger Berliner Kontaktarchitekt Matthias Reese haben die Skepsis der Denkmalpfleger ernst genommen und die neue Hofüberdachung wie einen Tisch, der auf vier Beinen steht, als selbsttragende Konstruktion in Philipp Gerlachs rückwärtigen Ehrenhof gestellt. Gerlachs „U“ schließt sich so zu einem kompakten Baukörper, den zum Garten eine gefältelte gläserne Fassade abschließt. Wenn die Sonne hindurchscheint, werfen die stählernen Stützen und Deckenbalken scharfe Schatten – und komplettieren die linienbetonten barocken Fassaden mit wunderbaren grafischen Effekten. Architektur als Zwiegespräch über Jahrhunderte hinweg.

Mit dem Altbau verbunden ist die neue Konstruktion lediglich durch eine gläserne Fuge, deren Glastafeln unter dem Traufgesims der drei barocken Hoffassaden ansetzen. Der Bodenbelag aus gesandstrahlten schlesischen Granitplatten lässt den Glashof zur atmosphärischen Übergangszone zwischen drinnen und draußen werden. Ob die fast vollständig zu öffnenden Falttüren an der Glasfassade auch im Alltagsbetrieb zum Gartenrundgang einladen werden, darf allerdings angesichts der hohen Sicherheitsstandards des Museums bezweifelt werden.

Überhaupt ist diese neue, dezent aufgefältelte Fassade, die an einen textilen Vorhang erinnern soll, der Schwachpunkt in Libeskinds Entwurf. Wären nicht die beiden barocken Kopfbauten, die sie festlich rahmen, würde man an die banale Beliebigkeit von Flughafenterminals erinnert. Zumal zwischen ihren rahmenlosen Verbundglasscheiben dicke graue Silikonfugen glänzen. Dafür belohnt der 670 Quadratmeter große Innenraum mit wahrhaft festlicher Stimmung. Was sich in der Distanz zum Gesamtkunstwerk à la Libeskind rundet, entpuppt sich aus der Nahsicht als Hightech-Präzision. Die im Querschnitt dreieckigen Hauptstützen wurden von einer Thüringer Stahlbaufirma aus einzelnen Stahlplatten so genau geschnitten und zusammengeschweißt, dass präzise scharfkantige Volumina entstanden sind. Ihre stählernen, hellgrau lackierten Körper verbergen elaborierte Haustechnik für Klima, Akustik und Licht.

Der Glashof ist ein relativ bescheidenes Projekt – für einen Architekten, der seit seinem Wettbewerbserfolg für Ground Zero endgültig zu den ganz Großen der Branche zählt. Doch anders als in New York, wo kommerzieller Hochdruck von seinem Masterplan nicht viel übrig gelassen hat, ist Libeskind hier etwas ganz Eigenes gelungen. Konzeptionell und doch sinnlich, bildmächtig und dabei komplex. Die höchsten Hütten baut das Licht.

Am Samstag, den 29., und Sonntag, den 30. September ist der Glashof bei freiem Eintritt zu besichtigen. Informationen unter www.juedisches-museum-berlin.de

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