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Radiohead beim Auftritt im Zenith de Paris im Mai 2016.

© imago/PanoramiC

Jugendroman: Sound der Suburbs

Michelle Falkoffs erzählt in „Playlist For The Dead“ vom Leben und den Sorgen weißer Teenager in der amerikanischen Provinz.

Man wundert sich bei dieser Playlist, wie verfeinert und gefestigt der Popmusikgeschmack von Teenagern sein kann. Vampire Weekend, The Shins, The Decemberists, Bon Iver, Yeah Yeah Yeahs, das alles sind Bands, die auch in den USA nicht auf jedem Kanal laufen (und erst recht nicht hierzulande), dafür muss ein junger Mensch schon manche mediale Tiefenbohrung angestellt haben. Aber Sam, Held und Ich-Erzähler von Michelle Falkoffs Debütroman „Playlist For The Dead“, und sein Freund Hayden sind Außenseiter mit viel Zeit und Hang zum Nerdtum. Für Sam bilden sie auf ihrer Schule in Libertyville, Iowa, eine „inselartige kleine Welt“, sie sind „Typen, die Computerspiele und Musik mochten und die vielleicht ein wenig freakig waren, aber keine totalen Volltrottel“.

Diskussionen, ob eine Band wie Radiohead nicht meilenweit besser ist als Coldplay oder Vampire Weekend nicht vielleicht eine Spur zu fröhlich sind für den etwas Schwermütigeren der beiden, gehören für sie also zum Alltag. Deshalb ist es geradezu zwingend, dass Hayden seinem besten Freund ein Mixtape hinterlässt, nachdem er sich kurz nach einer Party das Leben genommen hat. „Wenn du das hörst, wirst du mich verstehen“, lautet die unausgesprochene Botschaft dieser Playlist aus 27 Titeln, die Falkoffs Roman die jeweiligen Kapitelüberschriften bescheren. Sam versucht, die Motive Haydens zu ergründen und zu verstehen und die Ereignisse vor, auf und nach der Party zu rekonstruieren, all das mithilfe von Radioheads Song „How To Disappear Completely“, dem ersten Stück, über Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ oder „I Don’t Want To Grow Up“ von den Ramones bis hin zu „It’s Only Life“ von den Shins, mit dem das Buch endet.

Oder ist Coldplay besser als Radiohead oder umgekehrt - diese Fragen diskutieren die Freunde in "Playlist for the Dead".
Oder ist Coldplay besser als Radiohead oder umgekehrt - diese Fragen diskutieren die Freunde in "Playlist for the Dead".

© dpa

Michelle Falkoff kennt sich aus in den Seelenlagen junger Menschen, was umso erstaunlicher ist, als sie selbst um die Mitte, Ende dreißig sein dürfte. Sie versteht es, tief in die Gedankenwelt der von einem Suizid mittelbar Betroffenen einzutauchen und diese zu verbalisieren. Überdies bildet sie trefflich die Lebenswelt von Teenagern aus der Provinz ab. „Playing For The Dead“ spielt gewissermaßen den „Sound Of The Suburbs“: von Teenage-Lust bis Teenage-Frust, erzählt aber auch von fehlenden LGBTQ-Gruppen oder Cheerleader-Spießigkeiten und hat einen Showdown in Form eines Schlamm-Truck-Rennens.

Sam fühlt sich schuldig, erfährt in Folge aber, dass er nicht der Einzige mit Schuldgefühlen aus Haydens Umgebung ist. Da sind noch Astrid und Jess, Sams Schwester Rachel und ihr Punk-Freund Jimmy, der homosexuelle Eric oder die etwas älteren Ryan, Jason und Trevor, die Sam als „Tyrannentrio“ beschreibt. Sie alle haben mit dem Verlust von Hayden zu kämpfen, sie alle hatten mit ihm auf gute oder mysteriöse oder eben nicht so gute Weise zu tun, Abrechnungsgelüste inklusive. Falkoff kann erzählen, das hat sie in Creative-Writing-Kursen gelernt; auch Anklänge an die mystery novels eines Stephen King finden sich in ihrem Roman – unter anderem als Sam glaubt, mit einem aus einem Computerspiel stammenden virtuellen Alter Ego von Hayden zu chatten. (King ist übrigens auch einer von Sams Lieblingsschriftstellern.)

Die Playlist ist ein literarisches Konstrukt, , das Falkoff ihre Geschichte besser erzählen lässt.
Die Playlist ist ein literarisches Konstrukt, , das Falkoff ihre Geschichte besser erzählen lässt.

© Coppenrath

Bisweilen wirkt „Playing For The Dead“ ein wenig zu stimmig. So haben die Personen, von denen sich Sam nach dem Selbstmord seines Freundes wirklich verstanden glaubt, Astrid und Jimmy, selbst den Tod eines nahen Angehörigen oder Freundes zu beklagen. Oder wenn die Songs von Haydens Mixtape kaum zur Handlung passen, sondern primär sprechende Titel tragen, zum Beispiel „Mad World“, „I Don’t Want To Grow Up“ oder „Despair“.

Aber klar: Diese Playlist ist ein literarisches Konstrukt (und letztendlich die eines Toten für die Lebenden – nicht „for the dead“, wie der Titel nahelegt), ein Konstrukt, das Falkoff ihre Geschichte besser erzählen lässt. Mit dem sie aber, aller Verfeinerung und eigenen Vorlieben zum Trotz, für viel Authentizität sorgt. Das Leben, nur das Leben, um es mit den Shins zu sagen, das speziell weiße in der US-Provinz zumal.

Michelle Falkoff: Playlist For The Dead. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Sonja Häußler. Coppenrath Verlag, Münster 2016. 270 Seiten, 14,95 Euro. Ab 14 Jahre.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

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