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Kultur: Jungens, kommt bald wieder!

Nein, der letzte Winter war nicht leicht für das Backstreet-Boy-Fan-Girlie. Erst versetzte sie die Nachricht von einer Herzoperation Brians in Schrecken.

Nein, der letzte Winter war nicht leicht für das Backstreet-Boy-Fan-Girlie. Erst versetzte sie die Nachricht von einer Herzoperation Brians in Schrecken. Dann das Gerücht, Nick, der blonde Benjamin der Truppe, plane eine Solokarriere. Schließlich mußte sie sich auch noch anhören, daß vier ihrer fünf Herzbuben gegen ihren Manager Louis Pearlman geklagt hatten. Im Februar trennten sich die Backstreet Boys endgültig von Pearlman, der sie vor sechs Jahren mit 1,5 Millionen Dollar aufgebaut hat, um bis heute über hundert Millionen Dollar an ihnen zu verdienen. Als die für letzten November geplante Deutschlandtour dank dieser Querelen gleich dreimal verschoben wurde, lag zumindest für die Musikpresse der Fall klar: Die mit 50 Millionen verkauften Alben erfolgreichste Boygroup der letzten Jahre sei am Ende. Aus. Finito. Schlußakkord.Angesichts gleichzeitig bedrohlich sinkender Auflagenzahlen bei den einschlägigen Teenie-Gazetten, witterten viele bereits eine generelle Trendwende in der Branche. Das Geschäft für schwülstende Jünglinge mit dekorativen Waschbrettbäuchen, die immer zahlreicher ihren Weg zum Mikro fanden, schien ausgereizt. Bang fragte "Bravo": "Gewinnen die Boys die Herzen der Fans zurück?", während der "Stern" düster den "Teenie-Gau" prognostizierte. Der allerdings ist glücklicherweise ausgeblieben. Denn rechtzeitig zum Frühling haben sich die Backstreet Boys wieder berappelt - und sind sogar erfolgreicher denn je. "Millennium" heißt das neue Album bedeutungsschwanger, mit dem sie im Juni erstmals Platz 1 der US-Charts erklimmen konnten.Seitdem ist keine Rede mehr von einem Ende der Mädchenpsychose namens "Boygroup" samt ihrer fünf Marktführer aus Florida. Vielmehr feiert man die triumphale "Rückkehr der Goldjungs" ("Focus"). Musikalische Überraschungen bietet diese Rückkehr allerdings nicht. Die zwölf Songs auf der neuen Platte klingen nach altbackenem, spiegelglatt polierten Synthie-Pop und handeln ebenso altgewohnt von Jungsherzen, die weiterhin schmerzen, oder Jungsmüttern, die sowieso die besten aller Frauen sind. Dargeboten werden die bewährt unverfänglichen Themen in einem Englisch, das auch Siebenjährigen geläufig ist. "You are my fire, my only desire", heißt es bespielsweise im Chartknaller "I want it that way". Das kann jeder mitsingen und sich verstanden fühlen, ohne mit den Eltern oder sonstwem anzuecken.Passend dazu halten die fünf Teenie-Idole auf den Pressekonferenzen zu ihrer Tournee eben jene konservativen Werte hoch, die sie als Sauberjungs nunmal vertreten müssen. Da erzählen sie dann davon, daß die "Familie das Wichtigste" ist (Brian). Daß sie "ganz normale Jungs" sind (A.J.). Und daß sie an "Gott glauben" und Sex für sie insofern nur angesagt ist, wenn man "diejenige findet, die man wirklich liebt" (Kevin). Keine Chance also für die liebestollen Groupies in Massen, die laut dem deutschen Tour-Organisator Werner Lindinger immer undisziplinierter werden und sich inzwischen sogar nackt in die Hotelbetten ihrer Traummänner einschleichen. Folglich wäre alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen im moralisch-cleanen BSB-Fan-Kosmos, wäre da nicht die irritierende Aussage der fünf Jungstars, daß sie - pünktlich zu Nicks neunzehntem Geburtstag - nun erwachsen werden wollen."Millennium" wird demgemäß als futuristischen Meilenstein in der Bandgeschichte verkauft: Weg vom pubertären Gewimmere und hin zur seriösen Vokalharmonie soll es gehen, beteuert ihr neuer Manager Michael Green. "Unsere Philosophie für die Backstreet Boys lautet", so Green großspurig, "nicht einem Trend zu folgen, sondern Trends zu setzen." Ein neues, erwachsenes Vorbild ist schon ausgemacht: Popmutter Madonna. "Bei der ist jeder gespannt, was sie als nächstes tut", schwärmt Green. Wohl deshalb reagieren seine fünf Mädchenschwärme neuerdings so allergisch auf die Etikette, eine Boygroup zu sein. "Wir sind mehr als das!", giftet Kevin, mit seinen 27 Jahren der Band-Oldie, und wettert: "Unter einer "Boygroup" verstehen die meisten doch nur einen Haufen netter Gesichter." Und fast rührend wirkt es, wenn sein Nebenmann Nick beteuert: "Wir können nämlich wirklich singen! Wir wollen uns musikalisch weiterentwickeln."Durchaus stimmsicher und aus dem Stegreif trällern die fünf dann "I want it that way", und die anwesenden Journalisten sind einen Moment lang ergriffen. Popmusiker, die ohne Technik Töne treffen, trifft man selten. Der Imagewechsel hat auch das Outfit der Band verändert. Vorbei die Zeiten, als Howie, Kevin, Nick, A.J. und Brian noch als nette Jungs von nebenan bevorzugt in Baseballkappen und Latzhosen auftraten. Auf dem aktuellen Cover posieren sie wie "richtige" Männer, wenngleich beharrlich ohne Schattenseiten, in weißen Anzügen und mit männlich-erwachsenem Bart. Doch was sich im richtigen Leben schon schwierig gnug gestaltet - das Erwachsenwerden - ist für gnadenlos auf "Jugendlichkeit" gebuchte Stars wie die Backstreet Boys schier ein Ding der Unmöglichkeit.Da mag Promoter Lindinger noch so sehr betonen, daß die Gruppe "ja eigentlich eine Crossover-Band" sei, und daß "Kevin ganz toll Klavier" und "Brian Gitarre" spielt. Die meisten ihrer Konzertbesucher sind auch diesmal mehrheitlich minderjährig und kommen wie die 11jährige Celina aus Bielefeld, wel "Nick so süß" ist - und nicht, weil Nick oder seine Kumpanen vielleicht auch singen können oder ein Instrument beherrschen. Wie viele Fan-Girlies ist Celina mit ihrer Mutter da und hat einen Teddybär auf der Bühne postiert. Der trägt ein Schild mit ihrer Adresse und einem Foto von ihr: "Celina möchte so gern ein Autogramm von Nick", verrät ihre Mutter. Bleibt allein die Frage: Wohin mit den vielen Teddybären, wenn nicht einmal mehr die Backstreet Boys noch "Boys" sein wollen? Die brutale Antwort: Nirgendwo hin. "Bild" titelte Anfang des Monats, daß die Gruppe erneut "kurz vor der Trennung" stünde. Das klingt angesichts ihres enormen Erfolges derzeit absurd. Nichts aber ist wahrscheinlicher. Wer erwachsen wird, muß sich von Teddybären verabschieden. Das Schicksal der Auflösung erteilt darum zwangläufig jede Boygroup: früher oder später. Die beiden Abschluß-Konzerte in Berlin könnten insofern die letzten der Backstreet Boys sein.

Die Backstreet Boys spielen heute und morgen im Velodrom, 20 Uhr. Restkarten an der Abendkasse

GISA FUNCK

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