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Kultur: Kampf der Editoren

Jahrzehntelang ärgerten sich die Leser von Franz Kafka über die fehlerhaften Ausgaben des S. Fischer Verlages.

Jahrzehntelang ärgerten sich die Leser von Franz Kafka über die fehlerhaften Ausgaben des S. Fischer Verlages. Heute, sechs Jahre nach Auslaufen der Verlagsrechte, widmen sich zwei denkbar unterschiedliche Editionen dem Werk des Prager Schriftstellers. Die "Kritische Ausgabe" (KA) bei S. Fischer bietet Text, Kommentar und Apparat, die "Frankfurter Kafka-Ausgabe" (FKA) im Stroemfeld Verlag präsentiert die Handschriften und Typoskripte im Faksimile gemeinsam mit einer getreuen Maschinenumschrift. Klarere Alternativen als die zwischen traditionellem Germanistenfleiß und der Beschwörung der Handschriftenaura sind kaum denkbar.

Die Zukunft sieht möglicherweise anders aus. Anfang November wurde bekannt, dass die "Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung" in Essen mit einigen 100 000 Mark die fotografische Dokumentation aller Kafka-Handschriften fördern will. Den Antrag stellte Gerhard Kurz, Leiter der KA. Die Aufnahmen sollen, so sein Mitarbeiter Hans-Gerd Koch gegenüber der Deutschen Presse Agentur, frühestens 2004 veröffentlicht werden. Daraufhin nannte Stroemfeld-Verleger K. D. Wolff die Krupp-Förderung in einer Presseerklärung einen "neuerlichen Versuch", seine FKA "aus dem Feld zu schlagen". Dass der Streit schon fast beigelegt sei, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" meldete, kann Wolff nicht bestätigen.

Bei der Krupp-Stiftung hat man mit solcher Resonanz nicht gerechnet und hält sie auch nicht für gerechtfertigt. Gefördert wird nämlich keine Buchausgabe, sondern die Erhaltung des Nachlasses. Um die brüchigen Papiere zu schonen, sollen die Forscher mit hochwertigen Farbfotografien arbeiten können. Möglicherweise werden alle Aufnahmen aus dem zu 80 Prozent in Oxford liegenden, ansonsten aber zersplitterten Nachlass an einigen Orten zusammengeführt. Die Rechte zur Benutzung der Fotografien auch durch Verlage oder Editoren sollen weiterhin bei den Archiven oder Besitzern liegen.

Stroemfeld-Verleger Wolff stört es, dass die Krupp-Stiftung ein Projekt fördert, dessen Ziel dem seiner Ausgabe nicht wenig ähnelt: die "materiale Basis" der Werke zu sichern. Die aufwändigen fotografischen Arbeiten für die bisher erschienenen Bände der FKA - das "Dom"-Kapitel aus dem "Prozess", "Das Urteil", den gesamten "Prozess", "Die Beschreibung eines Kampfes" und die "Oxforder Quarthefte" - hat Wolff ohne jede Unterstützung finanziert. Just als die Krupp-Förderung bekannt wurde, wollte er einen Antrag auf Beihilfen für die Reproduktionskosten bei der Europäischen Union einreichen. Für den über 200-seitigen Fragebogen hatte der einstige Staatsminister für Kultur Michael Naumann die tatkräftige Hilfe seines Hauses zugesichert. Dieser Antrag hat nun keine Aussichten auf Bewilligung mehr.

K. D. Wolff hat daher die Krupp-Stiftung aufgefordert, die Aufnahmen seinem Verlag zur Verfügung zu stellen: "Es ist nicht viel teurer, ein zusätzliches Dia aufzunehmen." Eigentlich aber sorgt er sich um die Exklusivität seiner von Roland Reuß und Peter Staengle ohne Honorar, mit akribischer Sorgfalt erstellten Ausgabe. Denn der S. Fischer Verlag hatte zwar 1983 den Wunsch der KA-Herausgeber nach Faksimiles abschlägig beschieden. Doch das könnte sich ändern, weil Krupp einen Großteil der Kosten trägt. Für Hans-Gerd Koch, der die fotografische Erfassung zunächst als selbstverständliches Engagement zur Sicherung des Nachlasses versteht und nicht als Konkurrenz zur FKA, ist S. Fischer der erste Ansprechpartner, wenn es um die Veröffentlichung der Faksimiles geht.

Das begrüßenswerte Engagement der Krupp-Stiftung verändert die ökonomischen Ausgangsbedingungen für beide Kafka-Ausgaben grundlegend. Daher kann man sich in Essen nicht auf den Standpunkt zurückziehen, es gehe nur um die Wissenschaft. So blauäugig haben sich die Krupp-Gutachter verhalten. Die Stiftung und K. D. Wolff sprechen nun über Möglichkeiten, die wissenschaftliche Förderung nicht zur wirtschaftlichen Unterstützung für eine bestimmte Edition werden zu lassen.

Jörg Plath

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