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Kultur: Kapitale Versprechen

Auf Safari: Das Fotofestival in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg zeigt Stars und entdeckt Newcomer

Fotografie ist immer am stärksten, wo sie auf Widersprüche aufmerksam macht, die sich den konventionellen Medien entziehen. Genau das sind die Qualitäten, die man jetzt beim 4. Fotofestival in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg erleben kann: Einblicke in eine komplexe Wirklichkeit, die mal politisch, mal poetisch zur Darstellung kommt. Dabei wählten die zwei Kuratorinnen Katerina Gregos und Solvej Helweg Ovesen neben Stars wie Beat Streuli oder Tary Simon vor allem junge Künstler aus, die sich am Kunstmarkt noch behaupten müssen. Das macht das Fotofestival zu einer Gelegenheit für Sammler: Hier wird zur Schau gestellt, was die fotografische Avantgarde im 21. Jahrhundert beschäftigt und noch lange beschäftigen wird.

Das Festival mit dem passenden Titel „The Eye Is A Lonely Hunter“ ist in sechs Abschnitte unterteilt. Es erzählt vom Klimawandel, von politischen Krisen und alltäglichen Ritualen. Beeindruckende Einzelausstellungen sind im Programm, wie Fotografien von Roger Ballen (Sammlung Prinzhorn) und Tobias Zielony (halle02) in Heidelberg. Die Werke von Taryn Simon wiederum, die im Hinterland Amerikas, in Texas entstanden sind, können im Zephyr in Mannheim besichtigt werden. Die Fotografin hat Amerikaner besucht, die für ein Kapitalverbrechen verurteilt und eingesperrt wurden, obwohl sie unschuldig waren. Die Männer und Frauen, zumeist afroamerikanischer Abstammung, haben sich für das Projekt an die Tatorte begeben. Ihre müden Gesichter zeugen von der Ungerechtigkeit Amerikas und verraten, dass manchmal blanke Vorurteile über Schicksale entscheiden.

Aber auch Veränderungen in Deutschland sind Thema, wobei es vor allem junge, in Berlin lebende Künstler sind, die das Interesse der Besucher wecken: etwa das Künstlerpaar Plamen Bontchev und Sofia Burchardi. Die Serie „Alone Together“ (Kunstverein Ludwigshafen) porträtiert die Arbeitsplätze von Bloggern und Internet-Nutzern – nur die Stühle der digitalen Pioniere bleiben leer. Die Künstler machen auf die Vereinsamung in der digitalen Welt aufmerksam und kritisieren den schleichenden Identitätsverlust im Netz: Auf einem Flip-Bild sieht man eine chamäleonhafte Gestalt, die je nach Standort variiert. Statur, Kleidung und Geschlecht verändern sich bei jeder Bewegung – so wie im Internet, wo jedes Ich ein anderes ist.

Auch eine Arbeit des in Berlin lebenden Künstlers Köken Ergun ist zu sehen: Eine Videoarbeit, die im Heidelberger Kunstverein auf drei Leinwänden ausgestrahlt wird. Eine Hochzeitsfeier mitten in Deutschland, nur dass sie nach den türkischen Ritualen zelebriert wird. Gut gekleidete Männer tanzen im Kreis, während ein bärtiger Mann ins Mikrofon schreit, wie viel Geld die anwesenden Freunde dem jungen Paar geschenkt haben: 1000, 2000, manchmal 3000 Euro. Der Mann zählt die Scheine im Akkord. Rechts sehen wir zum teil irritierte, zum teil belustigte Gesichter – als wüssten die jungen Türken selbst nicht ganz, welche Rituale die Elterngeneration hier feiert. Nach der Präsentation verrät der türkische Künstler, wie glücklich er ist, auf dem Festival ausstellen zu dürfen: „Machen wir uns nichts vor, der Markt ist hart umkämpft.“

1400 Bilder an sieben Stationen sind viel. Doch es ist den beiden Kuratorinnen zu verdanken, das sich durch die tour de force eine rote Linie zieht. Es geht immer um versteckte Facetten der Wirklichkeit. Eines der bezwingendsten Bilder stammt von Yang Yongliang (Wilhelm Hack Museum Ludwigshafen), der ein künstliches Panoptikum geschaffen hat im Stile einer chinesischen Landschaftsmalerei aus dem 14. Jahrhundert, nur eben als Collage, die ein mächtig wachsendes, dabei immer grau bleibendes China zeigt – voller sperriger Hochhäuser, dunkler Bäche und zerstörter Landschaften. Sechs Meter ist dieses Bild breit, das den enthemmten Wahn eines wachstumsbesoffenen Landes entblößt.

4. Fotofestival Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, www.fotofestival.info.

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