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Karlheinz Stockhausen

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Karlheinz Stockhausen: Und es ward Licht

Zum Tod des Komponisten und Sternsingers Karlheinz Stockhausen, der sich selbst als legitimen Nachfolger Richard Wagners bezeichnete. Parallelen gibt es zuhauf.

In einem Brief an Wolfgang Wagner, den Chef der Bayreuther Festspiele, hat sich Karlheinz Stockhausen einmal als legitimen Nachfolger des Musikdramenerfinders und Kulturrevolutionärs Richard Wagner bezeichnet. In der Tat stechen die Parallelen zwischen diesen monolithisch in der Geschichte stehenden Künstlerpersönlichkeiten ins Auge: Beide hatten Probleme, andere Götter neben sich gelten zu lassen, beide haben Schulen gebildet, das Publikum in Lager gespalten, in unbedingte Verehrer und wütende Gegner, beide haben Musikergenerationen geprägt, ja mit ihrem Wirken gar in andere Kunstformen ausgestrahlt, beide haben in Wort und Werk immer wieder die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptierten verletzt. Vor allem aber haben beide als Hauptwerk gigantische Opernzyklen geschaffen und dabei die Grenzen des angeblich technisch Machbaren niemals als Limit ihres Denkens akzeptiert. Wobei Karlheinz Stockhausens opus summum, was das Volumen betrifft, Richard Wagner locker in den Schatten stellt: Dreißig Stunden würde die Aufführung des zwischen 1977 und 2003 entstandenen, nach den Wochentagen benannten Musiktheater-Mammutwerks „Licht“ dauern, fast doppelt so lang wie „Der Ring des Nibelungen“.

Aber einen Unterschied gibt es doch. Während Richard Wagners Hinterlassenschaft landauf, landab gespielt wird und immer volle Häuser garantiert, sind Zweifel angebracht, ob sich jemals eine Institution finden wird, die es wagt, Stockhausens siebenköpfiges Klangungeheuer zu bändigen, um es von Montag bis Sonntag „Licht“ werden zu lassen. Udo Zimmermann, der in seinen Werken so viel konziliantere Komponistenkollege, trägt den ehrgeizigen Plan zwar schon lange mit sich herum, und das legendäre Innovationszentrum in der Dresdner Gartenstadt Hellerau, dem der ehemalige Intendant der Deutschen Oper Berlin nun vorsteht, wäre auch ein idealer Ort – allein, es müsste schon Manna vom Himmel regnen, um die Finanzierung eines solchen Unterfangens zu sichern.

Karlheinz Stockhausen wird es nicht mehr miterleben können. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist er am Mittwoch im Alter von 79 Jahren in Kürten bei Köln gestorben. Dabei hätte der Mythologe, der große Irrationale und Antipragmatiker, mit dieser Vorstellung sicher am wenigsten Probleme gehabt. Denn sein Blick ging seit Jahrzehnten nach oben: Und was er dort sah, die antiken Götter, die Elemente, den Erzengel Michael, Eva, Luzifer sowie seine eigenen, zu Sternbildern aufgestiegenen Kinder, materialisierte sich in seinen Kompositionen. Wenn die aufgeführt wurden, war dann fast immer auch ihr Schöpfer zugegen, um am Mischpult die entscheidenden Impulse zu geben.

Ausgehend vom Katholizismus über den Zen-Buddhismus hatte der auf seine Weise sehr fromme Komponist eigenwillige privatmythologische Anschauungen entwickelt, die ihn vor gut sechs Jahren zu seiner berühmtesten Äußerung trieben: Mitte September 2001 erklärte der Komponist, die Anschläge auf das World Trade Center, seien „das größte Kunstwerk Luzifers, das es überhaupt gibt für den Kosmos“, und zeigte sich beeindruckt von der Präzision, mit der das Attentat durchgeführt worden war. Eine fatale Formulierung, die vor allem auch davon Zeugnis ablegte, wie weit sich der Sternsinger Karlheinz Stockhausen da von schmerzlichen Realitäten entfernt hatte.

Oder blieb sich der Avantgardist nur treu? Begonnen hatte der am 22. August 1928 als Sohn eines Volksschullehrers in Möderath bei Köln geborene Stockhausen seine Karriere als Kämpfer für einen radikalen Neuanfang der zeitgenössischen Musik im Adenauer-Deutschland. Nach dem Studium in Köln war Stockhausen 1952 für ein Jahr nach Paris gegangen, um den „Kurs für Ästhetik und Analyse“ des Komponisten Oliver Messiaen zu besuchen – und entdeckte durch die Beschäftigung mit den Partituren der Vergangenheit sein Ziel: „Ich hörte immer mehr in mich hinein, statt nach draußen. Nicht das Ordnen und Verändern von Gefundenem beschäftigte mich, sondern das Erfinden von Neuem. Erfinden und Erstaunen vor dem Unerhörten: vom einzelnen Ton bis zur Form. Wundern. Mitteilen.“

Bei den „Darmstädter Ferienkursen“ für Neue Musik zeigt sich der junge Karlheinz Stockhausen neben dem Italiener Luigi Nono und dem Franzosen Pierre Boulez als progressivster Denker, arbeitet ab 1953 im gerade gegründeten „Studio für elektronische Musik“ des WDR und produziert hier drei Jahre später den „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“, die erste Komposition im neuen Stil der „elektronischen Musik“ in Deutschland, eine mehrdimensionale Collage, bei der die menschliche Stimme, künstliche Klänge und Geräusche gleichberechtigt nebeneinander stehen und sich frei im Raum bewegen. Ein Sensationserfolg in der progressiven Kunstszene, der Stockhausen an die Spitze katapultiert.

Als viel beschäftigter Neutöner reist er von da an durch die Welt und erreicht den Zenit seines Ruhmes 1970, als er bei der Weltausstellung in Osaka ein eigenes Kugelauditorium gebaut bekommt, von dem aus er als creator mundi seine Raumklanggalaxien steuert. Und noch etwas gelingt Stockhausen, von dem die allermeisten Komponisten nur (alp)träumen: Er wird zur Ikone der Rockmusik, sein Konterfei ist unter den 70 Stars auf dem Cover des Beatles-Albums „Sgt. Pepper“ zu finden, Brian Wilson, Pink Floyd und David Bowie berufen sich auf ihn, seine Schüler Holger Czukay und Irmin Schmidt machen als Band Can Stockhausens Experimente clubtauglich, ja selbst die Techno-Szene huldigt ihm – auch wenn sich der Geehrte postwendend mehr „Waghalsigkeit“ in den Dancefloor-Loops wünscht.

Das traditionelle Klassikpublikum dagegen erreicht Stockhausen kaum. Auf der Suche nach einem Deutungsmuster notiert der Kritiker Joachim Kaiser nach einer umkämpften Aufführung des Orchesterstücks „Punkte“ 1969: „Man muss sich dazu verhalten wie zu außereuropäischer Musik, deren Magie ja nicht dadurch weggezaubert ist, dass man in ihr vergebens nach der Beethovenschen Sonatenform sucht.“ Das Fremde lehrt den Hörer, Vertrautes umso höher zu schätzen, findet Kaiser: „In diese atomistisch hergestellte und dann doch wie ein Ganzes wirkende Dissonanzekstase bricht nun bei Stockhausen hin und wieder eine bekanntere, gewohntere traditionalistische Musikgeste ein und macht sofort bedeutenden Effekt.“ Diese „bekannten Klänge“ will Stockhausen jedoch nur als „Verkehrszeichen im unbegrenzten Raum der neuentdeckten elektronischen Klangwelt“ verstanden wissen.

Ein spektakulärer, medienwirksamer Coup gelingt Karlheinz Stockhausen noch einmal Mitte der Neunzigerjahre, als er im Auftrag der Salzburger Festspiele sein Helikopter-Quartett schreibt, bei dem vier Streicher in vier Hubschraubern sitzend ihre Parts spielen, zu denen sich das Geräusch der Rotorblätter als eigenständige Tonspur gesellt.

Auch wenn seine Werke noch präsent sind – das Helikopter-Quartett wurde im Sommer in Braunschweig aufgeführt –, hat sich die Entwicklung der zeitgenössischen E-Musik längst von dem abgekoppelt, woran Stockhausen bis zuletzt fest glaubte. Jungstars wie Thomas Adès, Johannes Maria Staud oder Magnus Lindbergh schreiben wieder klangkulinarische Musik, handwerklich raffiniert gemachte Tongemälde mit der Tendenz zum Gegenständlichen, zur Melodie – und werden dafür vom Publikum geliebt.

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