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Kultur: Karnevalist auf Sinnsuche

KLASSIK

Die Aufgabe ist knifflig: Was bloß verbindet Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ mit Leonard Bernsteins zwanzig Jahre später entstandener „West Side Story“? Was nur hat die Geschichte von der gatten- und selbstmörderischen russischen Kaufmannsfrau mit der Musical-Version von „Romeo und Julia“ zu tun? Die Handlung? Die Musik? Jeder Student der Musikwissenschaften würde so eine Prüfungsfrage wahrscheinlich mit blankem Entsetzen quittieren – erst recht tappt der Konzertbesucher im Dunkeln, dem Kent Nagano diese Programmkombination auftischt. Beim Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters in der Philharmonie haben diese beiden Programmblöcke jedenfalls nur so viel miteinander zu tun wie zwei Folgen verschiedener Fernsehserien: Erst der letzte Akt der Schostakowitsch-Oper, dann ein Wunschkonzert-Digest der Bernstein-Hits inklusive Karnevalsscherz. Wobei Nagano die Tragik eindeutig besser liegt als der Humor: Die kühle Präzision des DSO-Chefs trifft sich gut mit der eisigen Unerbittlichkeit des Schicksals, dem Schostakowitschs Gefangenenzug durch die öde russische Weite ausgesetzt ist, die brachiale Wucht des Orchesters scheint die vorzüglichen Solisten (Solveig Kringelborn, John Ketilsson, Katharina Kammerloher und Alexander Vinogradov) manchmal buchstäblich zu erdrücken. Das weckt freilich nur die Lust auf mehr und erinnert daran, dass dieses Werk dringend wieder auf dem Spielplan eines Berliner Opernhauses stehen müsste. Die „West Side Story“ kann man dagegen getrost den Musical-Theatern überlassen – von einem weichzeichnenden Sinfonieorchester mit Opernsängern gespielt, klingt sie nur wie schlechte Oper. Aber vielleicht wollte das Programm ja auch nur das beweisen.

Jörg Königsdorf

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