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Kultur: Karteikarten des Lebens

Wer zu ihr kommt, muss Personalbögen ausfüllen: Wie sich Christine Hill in der ifa-Galerie als stolze Beamtin inszeniert

Christine Hill ist eine Abhakerin. Sie betritt die Galerie, streift ihren Poncho ab und legt los. Fragen muss man der Amerikanerin kaum stellen. Flüssiges Deutsch sprudelt ohne äußeren Anstoß aus ihr hervor, souverän, fast schon überfahrend erklärt sie ihr Geschäft: woher sie kommt, wohin sie will, was das alles soll.

Zur diesjährigen Kunstbiennale in Venedig veröffentlichte Christine Hill Auszüge aus ihrem Wochenplaner. Beim Anblick der vielen Einträge ahnt der Betrachter, mit welcher Lust und Gründlichkeit diese Künstlerin ihre Termine abarbeitet. Die Ahnung wird zur Gewissheit, wenn man Hill begegnet. Es gilt, keine Zeit zu verlieren, es geht um Effizienz, Organisation und Abhakerei. Und um die Frage, wie man das mit Charme und Herzlichkeit verbindet.

In der Berliner Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen (IfA) präsentiert Christine Hill nun ein Projekt, das der Stolz jedes Amtes sein könnte: Zweihundert gerahmte, schlichte Karteiblätter, dicht an dicht an die Wand gehängt, geben Auskunft über zweihundert Menschen unterschiedlichster Herkunft. Gut sieht das vor allem aus, Wiederholung wird Muster. Wer sich ein bisschen hineinwühlt ins Ornamentale und die Antworten auf diesen Fragebögen liest, findet banale Statements wie: „Ich mag Kochen und Einkaufen.“ Aber auch auf Überraschungen stößt man, etwa wenn ein Profifußballer mal eben so ein Gedicht zu Papier bringt. „Es ist interessant, wie viele Menschen gerne Künstler sein würden“, sagt Christine Hill und schaut auf das Archiv, das sie „Volksboutique Official Template“ nennt. „Viele schreiben, sie hätten den Schritt zum Künstlersein nicht gewagt.“ Christine Hill dagegen hat es gewagt, sie ist Künstlerin – aber eine, die so tut, als wäre sie etwas anderes.

Irgendwo zwischen den Karteiblättern hängt auch die Akte Hill. Wie jedes Dokument ist sie ausgestattet mit einem Brustbild-Polaroid, mit Unterschrift und Datum. Name: Christine Hill. Alter: 38. Beruf: Künstlerin. Angaben zur Person: „Im September werde ich eine Talkshow-Größe in New York.“ Gezeichnet im Juli 2006. Die Amerikanerin, die seit 1991 vor allem in Berlin lebt, präsentierte gemeinsam mit dem IfA die Fragebögen in 15 Ländern und forderte stets die Besucher auf, weitere auszufüllen. Dabei wuchs das Archiv auf 1900 Blätter an. „Ich wollte wissen, wie die Leute sich einbringen“, sagt die großgewachsene Neu-Berlinerin und streicht sich durch die dunklen, schulterlangen Haare. Auf dem Polaroid hat sie noch eine Kurzhaarfrisur.

Die Leute brachten sich ein. In allen 15 Ländern fotografierten sich die Besucher mit der bereitgestellten Kamera, füllten den Erhebungsbogen aus und versuchten, die freie Fläche unter der Aufforderung „Erzählen Sie uns etwas über Sie!“ mit originellen Beiträgen vollzuschreiben. Auch in Berlin stapeln sich schon wieder ausgefüllte Bögen in Kisten. „Zeitkapseln“ hätte Andy Warhol solche Archive genannt. Christine Hill sagt lapidar: „Meine Projekte generieren immer ganz viel Kram.“

Sehr reizend, wenn die Künstlerin in ihre aufgeräumten Erläuterungen Umgangssprachliches einflicht, Sätze wie: „Das bedeutet viel Orga.“ Dann wieder benutzt sie Unternehmerslang, verwendet den Begriff branding resonance im Zusammenhang mit ihrer Arbeit, entschuldigt sich aber gleich dafür: Dieser wichtigtuerische Klang passe nun wirklich nicht zu ihren künstlerischen Aktionen. Zwar betreibt sie seit 1995 alle Aktivitäten unter dem branding „Volksboutique“. Doch diese Projekte leben gerade davon, dass sie die Business- und Arbeitswelt mit den Mitteln eines Bauchladens, eines Heimbüros oder höchstens mal einer Manufaktur parodiert. Als verkleinertes, niedliches Forschungsmodell für gesellschaftliche Zusammenhänge, Markt und Kapitalismus. Und stets werden die gegebenen Formen übersetzt in eine altmodische, charmante, irgendwie mädchenhafte Volksboutique-Ästhetik, in die Arbeits- und Bürokultur der fünfziger, sechziger Jahre. Ein Verfremdungseffekt, der Wirkung erzielt.

„Es geht mir um die Entmystifizierung von Geschäftsmodellen und Berufen“, sagt die Künstlerin. Zur Zeit erstellt sie ein Glossar mit Fachausdrücken aus verschiedenen Branchen. Damit man mitreden kann. Damit das alles mal runtergekocht wird, bitteschön. Christine Hill, oder besser: die Volksboutique, hat einen Postershop eröffnet, Handtaschen entworfen, Schuhe geputzt, Kunden massiert oder in New York Touristengruppen herumgeführt. Im vergangenen Jahr führte sie eine eigene Late-Night-Show in einer New Yorker Galerie auf, davon berichtet sie auf ihrem Fragebogen. Organizational ventures, organisatorische Unternehmungen, nennt sie solche Aktionen, die partout keine Performances sein sollen, da ihr das zu sehr nach Theatralität klinge. Unspektakulär, alltäglich müsse die Arbeit sein, Kunst solle als Dienstleistung sichtbar werden. Und umgekehrt: Dienstleistung als Kunst.

Mit solcher Kopier- und Sortierwut hat es Christine Hill weit gebracht: Sie lässt sich von der Stargalerie Eigen+Art vertreten, wird zu Biennalen eingeladen und vom New Yorker MoMA gesammelt. Eine Erfolgsgeschichte mit filmreifem Anfang: 1991 kam eine 21-Jährige Kunsthochschulabsolventin, im Staat New York geboren und ausgebildet, in Berlin an, auf dem Rücken einen Rucksack, im Kopf nur vage Vorstellungen von der eigenen Zukunft. „Beim Versuch, mich in Deutschland niederzulassen, musste ich mich natürlich durch so manches Stempelchaos schlagen“, erinnert sie sich. Sie hat der Trägheit der Ämter Ausdauer entgegengesetzt und lernte für ihre künstlerischen Aktionen. Im Berlin der Nachwendezeit fand sie ihr Material in der Hausbesetzerszene, bei Haushaltsauflösungen, in Läden, die „Dumping Kuhle“ hießen.

Auch den Namen für ihren eigenen ersten Trödelladen in der Invalidenstraße entlieh sie dem Fundus eines aufgelösten Landes, der DDR: „Volksboutique“ lehnt sich an den VEB, den „Volkseigenen Betrieb“ an. Hier verkaufte Hill Second-Hand-Klamotten und Kunstdienstleistung. „Das war etwas Besonderes. Nicht so wie heute, wo jeder Grafikdesigner seinen T-Shirt-Shop aufmacht“, sagt sie. Die Kuratoren der Documenta fanden das vor zehn Jahren auch und luden sie nach Kassel ein. Auch wenn es den Laden nicht mehr gibt: Das Label Volksboutique ist seit der Documenta X bekannt und gefragt.

Nachdem sie ihre Erfolgsstory runtergerattert hat und gehen will, erzählt die Künstlerin noch von ihrem jüngsten, vielleicht größten Coup: Seit kurzem ist sie als Professorin in der Weimarer Bauhausuniversität deutsche Beamtin auf Lebenszeit. Und das als Amerikanerin – unglaublich! Angegangen, abgehakt.

Bis 27. Januar in der ifa-Galerie, Linienstr. 139/140, Mitte, Di-So 14-19 Uhr.

Daniel Völzke

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