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Kultur: Kathedrale des Lichts

Münchens Pinakothek der Moderne ist eröffnet, und der Bundespräsident kommt zur nationalen Feierstunde.

Von Christina Tilmann

Es ist die Stunde des größten Stoiber-Lächelns: „Das ist ein Feiertag, für München, für Bayern und für Deutschland,“ verkündet Bayerns Ministerpräsident in seiner Festrede zur Eröffnung der Pinakothek der Moderne. Als dann ein Journalist fragt: Herr Ministerpräsident, wenn Sie Bundeskanzler sind...“, lächelt er noch breiter. Und als ihn Reinhold Baumstark, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, schließlich dem Kunstfreund und Bayernkönig Ludwig I. an die Seite stellt („Herr Ministerpräsident, dies ist Ihr Haus“), da strahlt Edmund Stoiber über das ganze Gesicht.

Die Eröffnung der Pinakothek der Moderne, medienwirksam sechs Tage vor der Bundestagswahl angesetzt, ist für den Unions-Kanzlerkandidaten ein denkbar glücklicher Tag. Ein Tag der Superlative: Deutschlands größtes Museum für Moderne Kunst, einer der schönsten Museumsbauten der letzten Jahre und dazu noch bestes, weiß-blaues Kaiserwetter. Vergessen sind alle Querelen der Vergangenheit, als der ehrgeizige Bau teurer und teurer und die Töne zwischen Architekt, Kunstminister und Stadtverwaltung schärfer und schärfer wurden. Vergessen auch, dass die jetzt so glanzvoll eröffnete „Dritte Pinakothek“ eigentlich ein Torso ist – ohne den geplanten zweiten Bauabschnitt und die ursprünglich vorgesehene Sammlung Brandhorst. Und dass Architekt Stephan Braunfels, zwischenzeitlich persona non grata in Münchens Kulturämtern, am Tage seines Triumphes nicht zur Eröffnung sprechen darf – auch davon ist jetzt nicht die Rede.

Vier Häuser unter einem Dach

Eine nationale Feierstunde also, durchsetzt mit dem vor Eröffnungen üblichen Chaos. Mehr als hundert wachsame Wärter schirmen die Räume mit bayerischer Entschiedenheit gegen verfrühte Journalisten-Blicke ab, während Bundespräsident Johannes Rau einen Schnellrundgang durch die Klassische Moderne absolviert: vorbei an den Meisterwerken des „Blauen Reiters“, die auch Edmund Stoiber zu seinen Lieblingen erklärt hat. Stephan Braunfels’ elegante, großzügige Freitreppen erleben ihr erstes Defilée, im Publikum sitzt von Baselitz bis Buchheim, von Lehmann bis zum Großherzog von Luxemburg alles, was Rang und n hat. Die Vorgabe „Uniform, Tracht, kurzes Kleid, dunkler Anzug“ haben die meisten klassisch interpretiert: Nur Friedrich Kardinal Wetters rotes Ornat sticht leuchtend hervor.

Vier Museen versammelt die Pinakothek der Moderne unter ihrem Dach: die „Staatsgalerie moderner Kunst“, die nach Dresden und Berlin bedeutendste „Graphische Sammlung“ Deutschlands, die „Neue Sammlung“, das weit unterschätzte Museum für angewandte Kunst und Design sowie die Architektursammlung der benachbarten TU. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft der Alten und der Neuen Pinakothek. Die Liga, in der nun gespielt werden kann, wird an diesem Tag immer wieder beschworen: Londons „Tate Modern“, das New Yorker „Museum of Modern Art“, das „Centre Pompidou“ in Paris seien die Sammlungen, an denen man sich messen wolle. München, die Stadt, die sich während des Nationalsozialismus schlimmer als jede andere an der modernen Kunst verging, brauche den Vergleich mit den Großen der Welt nicht mehr zu scheuen, so die Botschaft. „Die gesamte Kunstwelt schaut auf München“, verkündet Kunstminister Hans Zehetmair, während Stoiber stolz von einem „großen Wurf“ spricht.

Ein Wurf, der zunächst der Architektur von Stephan Braunfels zu verdanken ist: „Architektur ist das bewusste, genaue und großartige Spiel der Baukörper unter dem Licht“, wird Le Corbusier in der Architektursammlung im Erdgeschoss zitiert. Es klingt wie eine Hommage an den Schöpfer des Hauses. Auf 12000 Quadratmetern Ausstellungsfläche entwarf der Münchner Architekt Stephan Braunfels für 120 Millionen Euro eine „Kathedrale des Lichts“. Sie kann sich in der Tat mit den großen Kunsttempeln der Welt messen. Wie ein logisches Labyrinth legen sich klassische, meist quadratische oder rechteckige Räume um die zentrale, beherrschende Rotunde unter einer imposanten Kuppel, durchbrochen von trapezförmigen Treppen, die sich nach oben zur Freitreppe weiten. Alles steht unter dem Zeichen der Geometrie. Schinkels Rotunde im Alten Museum Berlin, das Bonner Kunstmuseum von Axel Schultes standen Pate: Als habe Braunfels die Formstrenge des einen mit der italianisierend-schwingenden Heiterkeit des anderen verbunden.

Klassisch ist diese Architektur auch in einem anderen Sinne: Braunfels hat ein traditionelles Kunst-, sprich Bildermuseum entworfen, ein Haus des 20., nicht des 21. Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund strahlend weißer Wänden beginnen die Werke von Beckmann und Picasso, die Brücke-Maler und Surrealisten förmlich zu schweben, zu leuchten. Der Glanz der Pinakothek, mehr durch Sammlernaturen wie Sofie und Emanuel Fohn oder Theo Wormland als durch museumseigene Aktivitäten begründet, stammt aus der klassischen Moderne, die den Westteil des Obergeschosses füllt. Was Braunfels hier vorgibt, ist jedoch in anderer Weise revolutionär: Die kleeblattförmig um Pfeiler gruppierten Räume verweigern sich dem üblichen chronologischen Rundgang. Beziehungen entstehen hier über Eck oder aus dem Augenwinkel. Und die Bilder wirken eher in thematischen Zusammenstellungen: So kann Max Beckmann endlich beweisen, dass er Picasso ebenbürtig ist, und Arnulf Rainer begegnet Joseph Beuys.

Zeitgenössische Videokunst oder Installationen sind hier schwerer vorstellbar: Auch der zweite, der Kunst ab 1960 gewidmete Sammlungsschwerpunkt im Osttteil des Hauses beschränkt sich weitgehend auf Malerei – und sorgt für Überraschungen. Denn dass die Stärke der „Staatsgalerie der Moderne“ bei Künstlern wie Beckmann, bei der Brücke und den Surrealisten lag, war bekannt – auch wenn der Reichtum erst in der neuen Präsentation vollständig ins Bewusstsein tritt. Dass aber in den letzten Jahren kontinuierlich neue Kunst angekauft wurde, dass Arbeiten von Pipilotti Rist und Jeff Wall, Donald Judd und Dan Flavin für den Schulterschluss mit der Gegenwart sorgen, das wird erst jetzt, in der großzügigen Hängung des zweiten Teils offenbar.

Streitfall Beuys

Auch ihre Streitfälle hat die Pinakothek der Moderne schon. Ein vom Münchner Künstler Olaf Metzel leuchtend bunt umhüllter Pfeiler ist vor allem dem puristischen Architekten ein Dorn im Auge. Diskutiert wird auch über Beuys’ legendäre Installation „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“, die der Düsseldorfer Künstler kurz vor seinem Tod noch selbst im Münchner Haus der Kunst aufgebaut hatte. Mit der Verlegung ist ihr die Aura des eigenhändigen Arrangements genommen.

Berliner kennen eine Version dieser Installation aus dem Hamburger Bahnhof. Von Berlin, der einstigen Kunstmetropole und heutigen Bundeshauptstadt, ist in München an diesem Feiertag einmal nicht die Rede. Auch fehlt Kulturstaatsminister Nida-Rümelin in den Reihen der Gäste. Aber sei es das Bekenntnis zum deutschen Kulturförderalismus, das Ministerpräsident Stoiber mit einem polemischen Schlenker über den Begriff der „Verfassungsfolklore“ verbindet, oder sei es die Zusicherung, dass das Amt des Staatsministers in der jetzigen Form erhalten bleibe, wenn er Bundeskanzler würde: Politisch spielt Berlin vor der Wahl bei den Eröffnungsfeierlichkeiten dann doch eine Rolle. Künstlerisch wird es durch das „Nationalereignis“ Pinakothek der Moderne auf die hinteren Plätze verwiesen.

Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, täglich außer Mo 10-17 Uhr, Do und Fr 10-20 Uhr. Eintritt 9 Euro. Katalog 64 Euro. Handbuch 16,80 Euro (beides DuMont). Bis zum 22. 9. ist die Pinakothek täglich von 10 bis 23 Uhr geöffnet. Eintritt frei.

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