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Undercover. Ronald Kukulies und Anka Graczyk in Nazi-Verkleidung. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Kultur: Kein Krampf

Milan Peschel macht Lubitschs Nazi-Komödie „Sein oder Nichtsein“ zur mitreißenden Klamotte

Der ernsthafte Regisseur, der an diesem deutsch-polnischen Abend von Anka Graczyk (mit Schnurrbart in Naziuniform) gegeben wird, schäumt vor Wut: „Dieses Stück ist ein ernst zu nehmendes Stück!“, schreit er. „Ein realistisches Zeitdrama! Ein Dokument Nazideutschlands!“ Die Schauspieler sollen gefälligst spielen, was im Textbuch steht und nichts dazuerfinden. „Ich will keine Extempores!“.

Da hat der ernsthafte Regisseur die Rechnung freilich erstens ohne seine Charge Bronski (Horst Westphal) gemacht. „Aber es gibt einen Lacher!“, sagt der – und Lacher sind im Theater unschlagbare Argumente. Und zweitens ohne die kommenden Ereignisse. Denn wir befinden uns im Jahr 1939 in Warschau, bald marschiert Deutschland in Polen ein, da wird die Nazi-Satire „Gestapo“, die man gerade am Teatr Polski mit dem Starschauspielerpaar Maria und Josef Tura probt, von der Wirklichkeit eingeholt.

Der Krieg macht jedes Theater obsolet. Andererseits kann man mit einem gut hingelegten Verwechslungsspiel in der schrecklichen Kriegswirklichkeit sehr wohl echte Leben retten, vorausgesetzt, man beherrscht die zackige Körpersprache und Rhetorik der Nazis und die passenden Nazi-Bärte sind zur Hand. Was wiederum sehr zum Lachen ist.

Nicht nur bei Ernst Lubitsch, der aus diesem bösen Paradox in seiner legendären Filmkomödie „Sein oder Nichtsein“ 1942 ein halsbrecherisches Spiel mit Klischees entwickelt. Sondern auch bei Milan Peschel, der den Film nach einer Theaterversion von Nick Whitby in Koproduktion mit dem Naradowy Stary Teatr aus Krakau auf die Bühne des Maxim Gorki Theaters bringt. Und dabei ein hochamüsantes Slapstick-Feuerwerk abbrennt, als hätte er den Satz „Einen Lacher soll man nie verachten“ des zweiten Chargenspielers Grünberg (Johann Jürgens) zum Motto erkoren. Peschel, der sein anrührend proletarisches Komödienhandwerk bekanntlich als Schauspieler an Frank Castorfs Volksbühne gelernt hat, will sehr, sehr viel Extempores!

Da werden die Nazistiefel zusammengeschlagen, was das gewichste Leder hergibt, da werden Arme gereckt und natürlich reichlich Späße mit dem „Hitlergruß“ getrieben. Weil das Drehbuch so schöne Screwball-Comedy-Dialoge vor allem für das Schauspielerehepaar Tura bereithält, wiederholen Sabine Waibel und Ronald Kukulies sie einfach drei oder vier Mal. Ronald Kukulies als Josef Tura, der mal heldenhaft in die Rolle des Gestapo-Spions Silewski schlüpft (mit mephistofelischer Geschmeidigkeit: Wilhelm Eilers), um zu verhindern, dass die Namen polnischer Untergrundkämpfer zur Gestapo gelangen, und im nächsten Moment wahre Rumpelstilzchen-Eifersuchtsanfälle aufführt, weil er erfahren hat, dass seine Frau etwas mit dem Fliegeroffizier Sobinsky hat (Hans Löw) – dieser Ronald Kukulies ist das Übertreibungskraftwerk des Spektakels. Seine sekundenkurze Hitlerparodie, die sich im Moment der größten Gefahr wie von allein aus ihm hervorwürgt, ist nicht nur virtuos, sondern auch gespenstisch, weil sie die Nazi-Körperverkrampfung als eine Art Panikreaktion zeigt. Von liebevoller Zärtlichkeit dann der Tanz des Friseurs, mit dem er Chaplins „Der große Diktator“ zitiert und sich dabei tief vor dem großen Charlie verbeugt.

Warum es der Abend mit der Übertreibung nicht übertreibt und die Witze trotz ihrer Penetranz nicht schal werden, ist das Rätsel der Inszenierung und nicht leicht zu erklären. Es mag daran liegen, dass die eigentliche Premiere in Krakau mit polnischen Schauspielern stattfand. Das deutsche Ensemble spielte die Inszenierung innerhalb weniger Wochen nach, und das merkt man. Der Abend wirkt nicht runtergeschnurrt, sondern an einigen Stellen sympathisch hinimprovisiert, in Volksbühnen-Tradition windschief wie die schwankenden Türen und Teilwände, die die Bühnenbildnerin Magdalena Musial von Technikern aufbauen, verschieben und wieder abmontieren lässt.

Kann aber auch mit dem zu tun haben, was Milan Peschel im Programmheft „die Löcher der Inszenierung“ nennt. Es gibt sie nämlich, die ernsten Stellen, durch die hin und wieder ein ganz anderer Wind hereinweht. Wenn Wilhelm Eilers als Gestapo-Spion mit nicht zu überhörender Drohung in der Stimme zu Maria Tura sagt: „Vielleicht steckt etwas sehr Zärtliches hinter diesem Bärtchen?“, um dann in gruseliges Psychopathenlachen auszubrechen. Oder wenn Horst Westphal einmal einsam am Bühnenrand sitzt, erschöpft in sich zusammengesunken. „Ich will keine Nazi-Komödien mehr spielen“, sagt er. „Ich kenn das alles“. Das ist dann nicht zum Lachen. Das ist zum Weinen.

Wieder am 18. und 25. 4. und am 3.5.

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