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Kultur: Kein Reis! Kein Toastbrot!

Werktreu: Richard O’Briens „Rocky Horror Show“ im Berliner Admiralspalast

Männer im knielangen Arztkittel, Frauen im lackledernen Mieder und eine Menge sweet transvestites drängen sich im Foyer des Admiralspalastes, man sieht viel Straps über behaartem Bein: Es ist Halloween, die Premiere der „Rocky Horror Show“ steht an. Eigentlich hat die Einstimmung auf diese ultimative Feier des schlechten Geschmacks schon in der S- Bahn begonnen, zwischen all den Maskierten und Betrunkenen. Richard O’Brien, dem Vater des einstigen Schmuddelkindes unter den Musicalhits, dürfte die Grenzverwischung gefallen – die allgemeine Auflösung von Identität und Benimm in einem frivolen Karneval rückt einen Stöckelschuhschritt näher. Was sonst fordert das Stück? Don’t dream it – be it!

Nun hat der Kult, den besonders die Verfilmung als „Rocky Horror Picture Show“ von 1975 ausgelöst hat, ja schon lange nichts Anarchisches mehr, sondern wirkt vielmehr auf putzige Weise spießig. Die Fans aller Generationen kommen ausgerüstet wie die Travestiebeamten und folgen treu dem selbst geschaffenen Reglement, sie wissen, an welcher Stelle sie mit Wasserpistolen zu spritzen haben, wann Reis und Klopapierrollen zu werfen sind. Abweichungen werden nicht geduldet. Und da treffen sie sich durchaus mit Richard O’Brien, der, nach allem was man weiß, ein recht strenger Werktreue-Wächter ist. Dass allerdings am Eingang ein Plakat das Mitführen von Lebensmitteln im Saal untersagt (Kein Reis! Kein Toastbrot!), verheißt schon mal nichts Gutes.

Süßes oder Saures? Von beidem bietet Sam Buntrocks Regie wenig. Der Funke springt zunächst kaum über. Nur wenige Zuschauer tanzen beim Abräumer- Song „Time Warp“ mit, obwohl da kultgerecht der Saal toben müsste. Das liegt nicht an der straff geführten Band unter Brandon Ethridge, auch nicht an Ceri-Lyn Cissone und Chris Ellis-Stanton, die das prüde Pärchen Janet und Brad geben.

Und Rob Morton Fowler als Frankenstein-Verwandter Dr. Frank N. Furter (im Film die Tim-Curry-Rolle), in dessen trashiges Lust-Schloss es die arglosen Verlobten nach einer Reifenpanne verschlägt, bringt mit Verve seine flamboyanten Parts. Die Choreografien sitzen, der Sound ist gut ausgesteuert, die Filmeinsätze auf der Videowand kommen auf den Punkt. Aber mit dieser Art der Inszenierung könnte man eben unterschiedslos auch ein Stück über singende Katzen auf die Tournee-Bühnen bringen. Seltsam unzeitgemäß wirkt das Ganze. Die „Rocky Horror Show“, diese schön- schrill-schwule B-Movie-Hommage, handelt ja von zweien, die aus den piefigen Eisenhower-50ern geradewegs in die grellen 70er stolpern. Schwer zu sagen, ob man das heutiger erzählen könnte. Der Versuch wird hier jedenfalls gar nicht erst unternommen

Tatsächlich ist die größte Freude des Abends Martin Semmelrogge in der Rolle des Erzählers. Der wirkt in seiner ausgebeulten Hose wie ein bekiffter Märchenonkel und bringt eine ganz berlinische Schnoddrigkeit in die Veranstaltung, eine Haltung, die sagt: Wenn die Kohle stimmt, dann zieh’ ick mir halt ooch Strapse an. Damit kommt er der Wahrheit am nächsten. Patrick Wildermann

Wieder am 2., vom 4. bis 9. und 11. bis 16. sowie vom 18. bis 23. November.

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