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Kultur: Kein Ton zuviel

Es hat lange gedauert, bis die Musik des 1935 geborenen Helmut Lachenmann im Konzertsaal jene Präsenz gewonnen hat, die etwa in Berlin seit einiger Zeit zu erfahren ist.Nicht nur auf der diesjährigen Musik-Biennale, wo Lachenmanns Werk ja einen Schwerpunkt bildete, sondern auch im regulären Abonnementskonzert wagt man sich inzwischen an die größeren Orchesterstücke Lachenmanns, wie jetzt im Berliner Sinfonie-Orchester, das unter Michael Gielens Leitung "Percussionsgruppe und Tonband" in genialem Zugriff der 7.

Es hat lange gedauert, bis die Musik des 1935 geborenen Helmut Lachenmann im Konzertsaal jene Präsenz gewonnen hat, die etwa in Berlin seit einiger Zeit zu erfahren ist.Nicht nur auf der diesjährigen Musik-Biennale, wo Lachenmanns Werk ja einen Schwerpunkt bildete, sondern auch im regulären Abonnementskonzert wagt man sich inzwischen an die größeren Orchesterstücke Lachenmanns, wie jetzt im Berliner Sinfonie-Orchester, das unter Michael Gielens Leitung "Percussionsgruppe und Tonband" in genialem Zugriff der 7.Sinfonie von Beethoven voranstellte; beides Werke, die die Zusammenballung von Bewegungsenergien zu einer gemeinsamen Bewegung, zum Marsch, thematisieren.Gielen wird schon gewußt haben, warum er sich zu Beginn des Konzertes im Konzerthaus mit einer kleinen, humorvoll gewinnenden Rede an das Publikum wandte, das schon in aufgeräumte Heiterkeit hineingeriet, als zu hören war, daß man etwa die Klaviere hier auf allen ihren Teilen spielen würde, nicht nur auf den Tasten.Möglichem Widerstand der Hörer war durch diese Deeskalationsstrategie jedenfalls im voraus die Spitze genommen und so ergab sich eine immerhin nur von wenigen Hustern und einmal an einer besonders leisen Stelle von ironisch gemeintem Zwischenapplaus unterbrochene Aufführung, die am Schluß vom größeren Teil des eher auf Beethoven abonnierten (und dann auch durchaus jubelbereiten) Publikum nicht etwa mit Buh-Rufen, sondern in einer Art passivem Widerstand einfach mit absoluter Klatschverweigerung beantwortet wurde.Dabei hatten Michael Gielen und das ebenso sichtbar wie hörbar engagiert auftretende BSO, in der Schlagzeuggruppe durch Studenten der Eisler-Hochschule verstärkt, Lachenmanns Partitur in eine hochklassige Aufführung umgesetzt.Weit entfernt von jener angespannten Unsicherheit, die Aufführungen solcher Musik manchmal ausstrahlen, erklang die "Fassade" dank Michael Gielens unglaublich souveränen Dirigat mit einer rhythmischen Präzision auch in den am stärksten von Pausen und "Lücken" zerfaserten Strukturen und mit einer Klarheit in der dramaturgischen Gestaltung, wie man sie sonst nur bei viel gespielten Stücken erlebt.So wurde neben all den unterschiedlichen Graden an klanglicher Dichte und Kompaktheit, äußerst komplexen und gestisch expressiven Klangballungen und verschiedensten Formen von Rauschen, Zischen und Grummeln, neben dem ganzen klanglichen Reichtum, der die Musik Lachenmanns auszeichnet, auch erlebbar, wie genau die Bewegungsenergie des Stückes prozeßhaft auf den Punkt gebracht ist - hier gibt es wahrlich keine einzige Note zuviel.Klanglich unbefriedigend blieb die elektroakustische Seite, mit Verstärkung und dem wichtigen Zuspielband, das die Musik des Konzertsaales durch Sprache und Geräusch in die Welt hinein öffnet.Hier bleiben die Möglichkeiten des Konzerthauses einfach noch hinter dem heutigen Standard zurück.

Von dieser verfremdeten Marschmusik her, einem "Trümmerfeld und Kraftfeld" zugleich (Lachenmann), hört man auch Beethovens Sieges- und Trauermärsche in der 7.Symphonie anders, zumal wenn Gielen dirigiert, unpathetisch, nüchtern, berstend von Energie, die auch etwas Furchterregendes mit sich führt.

MARTIN WILKENING

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