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Kultur: Kein Trost

Ernst Peppings Passion im Berliner Radialsystem

Ein Mitläufer war er wohl, wie manche bedeutende Musiker im „Dritten Reich“. Doch während einem Strauss, einem Karajan vieles nachgesehen wurde, geriet Ernst Pepping, Jahrgang 1901, in den Schatten, und mit ihm ausgerechnet das Werk, in dem er sich mit kollektiver Schuld aufs Dringlichste auseinandersetzte. Das liegt auch daran, dass sein „Passionsbericht des Matthäus“ von 1949 für die Nachkriegsvantgarde indiskutabel war: Formen des 16. Jahrhunderts, Quinten, gar Durdreiklänge. Regressiv? Was der Rundfunkchor Berlin im Radialsystem als szenische Aufführung realisiert, ist eine Musik von schmerzhafter Klarheit, eine unter Druck durchsichtig werdende Tonsprache, die ihre Autarkie nicht gegen die, sondern mit (vor-)barocken Techniken gewinnt und als „offene Wunde“ des Komponisten (so Boris Kehrmann im exzellenten Programmheft) zu den stärksten Vokalwerken des 20. Jahrhunderts zählt. Ernst Pepping hat das doppelchörige Werk nicht ausdrücklich auf seine Zeit bezogen, aber das Leiden, die Gewalt, die Schuld weit dominierender vertont als jeder Passionskomponist vor ihm. Trost gibt es kaum.

Man kann das nicht fokussierter, differenzierter, intensiver singen als das Ensemble unter Stefan Parkmans Leitung. Jeder Ton, jedes Wort ist existentiell, mancher Akkord leuchtet tiefer als die Projektionen über dem Chor. Regisseur Hans-Werner Kroesinger und Ausstatterin Valerie von Stillfried kombinieren auf einem Tryptichon drastische Gemäldeausschnitte mit Fotos des zerbombten Berlin. Am Ende: Auschwitz. Es wirkt reflektiert, nicht reflexhaft. Auch wenn eine szenische Lösung den Chor weiter einbinden könnte, wurde durch sparsame Bewegungsregie und Privatklamotten statt Konzertornat der Weg frei für eine Neubegegnung, Neubewertung, die Folgen haben wird. Phänomenal. Volker Hagedorn

Noch einmal heute, 20 Uhr

Volker Hagedorn

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