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Was ein süßes Wunderkind. Conor Oberst in jüngeren Jahren.

© Saddle Creek Records

Conor Oberst in Berlin: Ketzer in der Kirche

Blues-Harp-Minimalismus statt Orgelbombast: Conor Oberst spielt in Schöneberg solo vorm Altar - und macht zwischenzeitlich einen etwas derangierten Eindruck.

Man kann nicht sagen, die Kirche erreiche die jungen Leute nicht mehr. Ob man es glauben könne, fragt eine junge Frau am Donnerstagabend eine andere im Einlassgedrängel vor der Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg, sie sei erst letztes Jahr aus der Kirche ausgetreten. Daraufhin habe ihr eine Pfarrerin voll den schönen Brief geschrieben. „Der war so nett, ich habe ihr sogar geantwortet.“

Omaha wurde mit Papphäusern zugeschustert

Drei Stunden später wird auch Conor Oberst, besser bekannt als Kopf der Band Bright Eyes, auf das Kirchengebäude Bezug nehmen, in dem er da eine „intimate solo performance“ abliefert: Zu der Zeit, als diese Kirche gebaut wurde, habe man Details noch Aufmerksamkeit gewidmet, anders als in seiner aus Papphäusern und Einkaufszentren zusammengeschusterten Heimatstadt Omaha in Nebraska.

Man könnte nun diskutieren, ob neugotischer Standard von 1894 derartige Elogen wirklich verdient oder ob der midwestlich konsonantenfaule Oberst heute auch deshalb so schwer zu verstehen ist, weil er, recht spät, lattenstramm auf die Bühne gekommen ist. Man kann es aber auch so machen wie das fantastische Publikum und einfach ganz verzückend aufmerksam verzückt sein. Andächtig fast.

Ein Bild der Verwaldschratung

Dieses Publikum erlebt mit den späteren Begleit- und Mitmusikern Miwi La Lupa und Phoebe Bridgers eine fast zu stimmige (und vor allem zu lange) Support-Einstimmung, ehe Conor Oberst die Elegie mit langgezogenen Tönen, viel überkippender Stimme und wunderschön schlichten Folk-Anleihen fortsetzt. Dabei steht der blues-harp-dominierte Minimalismus des letzten Albums „Ruminations“ im Vordergrund. Obwohl Oberst durchaus sauber abliefert, ergibt sich daraus, dem ewigen Ansagengenuschel und einer neuen Fülle im lange so zarten Gesicht das Bild einer Verwaldschratung, die nun, in mittleren Jahren, mal wieder an jenen Mann denken lässt, mit dem das 1980 geborene Ex-Wunderkind schon früher ständig verglichen wurde: Bob Dylan.

Das macht alles freilich weder besser noch schlechter: Es gibt noch ein Sorry für Trump und ein schönes Finale mit „Lua“ und „At the Bottom Of Everything“ vom 2005er-Bright-Eyes-Album „I’m, wide awake, it’s morning“. Dann endet der Abend mit der Erkenntnis, dass die schräge Ablage für die Gesangbücher an den Kirchenbänken sich nicht für Bierbecher eignet.

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