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Kultur: Kicken Berlin zeigt fünf Meisterfotografen

Groß, wertvoll und impressiv: Das Vergehen der Zeit steht bei einer eindrucksvollen Ausstellung in Berlin-Mitte im Fokus

Siebenundzwanzig Mal hat der Künstler Dieter Appelt auf die schwarzen Wellen und Kreise eines Flusses geschaut. In Wahrheit stand er gewiss noch viel länger davor, aber für siebenundzwanzig Schwarzweißaufnahmen hat er sich entschieden, und nun füllen sie, in drei Reihen übereinander, eine Wand in Rudolf Kickens Ausstellungsraum, vom Fußboden bis zur Decke. Eine in den Bann ziehende Bildfolge von wirbelnden Wasserströmen, die sich ohne menschliches Zutun den Weg bahnen. „Du kannst nicht zweimal in den selben Fluss steigen“ oder „Alles fließt“, mag der Betrachter im Geist Heraklit zitieren. Ufer und Landschaft, die einen Begriff vom Fluss geben würden, sind jedoch nicht sichtbar. Für 100 800 Euro wartet die schon 1991 entstandene düstere Hommage an das ewige Fließen auf einen Käufer.

Einen Interessenten hatte bereits wenige Tage nach Eröffnung der Sammelausstellung von fünf Meisterfotografen unter dem nicht ganz zutreffenden englischen Titel „Degrees of Stillness“ ein auf zweiundeinhalb Quadratmeter vergrößertes Landschaftskunststück von Hans- Christian Schick gefunden. Auf ihn mag der Titel passen, ansonsten aber strömen Flüsse nicht lautlos, rauschen in Jitka Hanzlovás Waldszenen gewiss die Bäume und kreischen im vom Erdbeben zerstörten japanischen Kobe, das Ryuji Miyamoto mit dokumentarischer Strenge dokumentiert, wahrscheinlich die Bagger. Das Bild „9/17/2006“ aus Schinks Serie „1 h“ dagegen zeigt sanfte Hügel und Bäume, über denen ein langer, lichtumflossener Stab zu schweben scheint. Es ist jedoch die Spur der Sonne, die bei einer einstündigen, solarisierten Langzeitbelichtung auf dem Filmmaterial zurückbleibt. Auch Schicks Bild will, nur anders als Appelts Serie, das Vergehen der Zeit vermitteln. Man würde gern einmal die gesamte mit dem Real Photography Award 2008 ausgezeichnete Serie (wo der vermeintliche Stab, je nach geografischer Lage und Tageszeit, mal steil, mal flach über der Erde hängt) sehen, doch müsste der Künstler dafür wohl eine große Halle anmieten.

Der Amerikaner Alfred Seiland steuert vier unterschiedlich große, groteske Landschaftsszenen bei: verlassene Spiel- und Vergnügungsplätze an der Küste und eine scheinbar im Niemandsland platzierte Kinowerbung. Die gelungenen Farbkompositionen trösten über die Tristesse dieser menschenleeren Orte hinweg. Fast mit Andacht verweilt der Betrachter dagegen an der Seite Jitka Hanzlovás in einem böhmischen Wald und sucht mit dem Auge das im Tal verstecke Dorf Rokytnek, dem die inzwischen in Deutschland ansässige Fotografin mit der nach ihrem Kindheitsort benannten, im vergangenen Jahr bei Kicken vorgestellten Serie ein ebenso wehmütiges wie klarsichtiges Denkmal setzt.

Es dürfte nur folgerichtig sein, dass Ryuji Miyamotos siebenunddreißig Silberprints von Aufnahmen aus dem 1995 in Trümmer gesunkenem Kobe abseits von diesen schönen Blicken, im kleinen Ausstellungsraum im Torbogen, zu finden sind. Hier aber tauchen in der klug konzipierten Ausstellung das erste und einzige Mal Menschen auf, Arbeiter, die den Ruinen beherzt zu Leibe rücken. Auch die Betrachtung der Stille bedarf eines sicheren zivilisatorischen Grunds.

Kicken Berlin, Linienstraße 155; bis 15. Juli, Di.–Sa. von 14–18 Uhr.

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