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Kultur: Kilometergeld

Wende in der auswärtigen Kulturpolitik: Berliner Konferenz mit Minister Steinmeier

Von Caroline Fetscher

In Berlin tagte die größte Konferenz zur Liaison von Außenpolitik und Kultur seit zwei Jahrzehnten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier will eine Trendwende: Mehr soll getan werden für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Mit Ernst, mit Emphase rechnete er fünfhundert Gästen vor: „Knapp 130 Goethe-Institute sollten uns als kulturelle Infrastruktur in aller Welt durchaus so viel wert sein wie zwölf bis fünfzehn Kilometer Autobahn in Deutschland.“ Tatsächlich, „wir haben das dreimal überprüft“, versichert ein Mitarbeiter des Ministers; in ein Dutzend Kilometer der kostbaren Asphaltstrecke fließen 150 Millionen Euro, was etwa dem Drittel des Gesamtetats der Auswärtigen Kulturpolitik, kurz „AKP“, entspricht. Dieser Etat soll aufgestockt werden, das ist Steinmeiers Ziel.

Stiller und lauter Jubel im Saal. Alle Gäste hörten das gern auf dieser Riesenkonferenz des Auswärtigen Amtes mit dem Titel „Menschen bewegen – Kultur und Bildung in der deutschen Außenpolitik“. Alle: die Leute von „Goethe“, vom Institut für Auslandsbeziehungen, vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Deutschen Unesco-Kommission, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der Zentralstelle für Auslandsschulwesen, die von der Kulturstiftung des Bundes, auch die Staatssekretäre, die Kulturreferenten aller Länder und eine Handvoll politisch tätiger Künstler wie die erfrischende Marie Zimmermann, aktiv im Theaterbeirat des Goethe-Instituts, ab November 2007 Leiterin der RuhrTriennale.

Was der Kultur in den vergangenen Jahren finanziell zugemutet wurde, erklärte die Festivalmacherin Zimmermann in der Debatte der Arbeitsgruppe „Kulturpolitik im Spiegel des gesellschaftlichen Wandels“, sei so, „als würde man einem Langstreckenläufer das Bein abhacken und dann eine Kommission einberufen, die herausfinden soll, wie der wenigstens bei der Behindertenolympiade noch einen Platz machen kann.“

Das Bein soll wieder dran, und die Konferenz im Auswärtigen Amt sollte das erste Signal sein für die neue Richtung. Damit kein Skeptiker meint, bei „Goethe und Co.“ handle es sich um das Steuergrab für exotische Luxusblüten, ergänzte Minister Steinmeier seinen Appell um die Feststellung, die Bedeutung der Auswärtigen Kulturpolitik für Wirtschaft und Arbeitsmarkt sei in Deutschland „viel zu lange unterschätzt“ worden. Vielen ist das wohl schon bewusst geworden, denn zu den spendablen Sponsoren an diesem Donnerstag gehörte die „Standortinitiative Deutschland – Land der Ideen“ mit deren Wirtschaftspartnern wie Deutsche Bank, BASF und Voith AG.

Am Vorabend, zum Empfang im Radialsystem – einem neuen Berliner Kulturraum aus der Gründerzeit am Spreeufer, magisch-modern aufgestockt mit einer in Glas aufgelösten Fassade, Heimat der Choreografin Sasha Waltz und ihrer Compagnie – gab es schwarz-rot-goldene Cocktails in drei Schichten aus dunklem Wodka, Preiselbeer- und Maracujasaft. Dazu trug der Kabarettist Gerhard Polt den Europagedanken eines Bayern vor, der sich eine Nelson-Säule „wie auf dem Trafalgar Square wünscht“. Wenn wir nämlich alle Europäer sind, „da haben dann ja wir Deutsche gemeinsam mit den Alliierten die Nazis besiegt!“

Dem sich wandelnden Selbstverständnis der deutschen Kulturpolitik fürs Ausland kam er damit sogar nah: Offen und europäisch soll sie sein. Sie könne nicht, so Steinmeier, „mit Kultur als einem homogenen nationalstaatlich eingegrenzten, feststehenden Block oder Kanon von Werken, Werten oder kulturellen Waren arbeiten.“

Nur wie, nur was bieten wir an? Wem und wo und in welchem Rahmen? Was wollen die anderen von Deutschlands Kultur, in Moskau oder China, in arabischen Staaten oder in Uganda? Präsentieren wir, repräsentieren wir, kommunizieren wir? Geben wir uns als Land der Klassiker von Schiller bis Heine, als Exporteure rappender Migranten oder experimenteller Performance-Künstler, zeigen wir Wim-Wenders-Filme, oder werden wir Workshop-Anbieter? Etwas von allem – und alles „im Prozess“, so lautet am Ende die erste Antwort, Fluxusformel statt Luxusformel.

Fünfhundert Köpfe auf einer Konferenz, ein Ballungsraum der Kulturelite des Landes, das ergibt einen heterogenen Wald von Gesichtern. Ernsthafte und mokante, berechnende und freundliche, ambivalente und naive, couragierte und zaghafte. Jeder Typus kommt vor – Beamte und Denkmalschützer, Avantgardisten und Verwalter, Karrieristen, Reformer, Diplomaten, Renegaten, Anpasser und Betriebsverächter, Dauerironiker und Habedieweltgesehen-Leute, pensionssatte Zyniker und polyglotte Enthusiasten. Alles, was im Kulturbetrieb der Gegenwart die postpolitische Postmoderne bevölkert. Einigkeit kann und darf da nicht verlangt werden, die Heterogenität liegt, zeigen schon die Mienen und Physiognomien, zutiefst im Charakter der Sache.

Dass ein Außenminister den kulturellen Dialog – Hauptstichwort aller Debatten der Konferenz – so hoch oben auf seiner Agenda ansiedelt, sei schon eine Sensation für sich, erklären die meisten Teilnehmer erfreut und anerkennend, selbst die, die sich mehr versprochen hatten, sich kleinere Arbeitsgruppen wünschten, intensiveren Streit, konkretere Worte, mehr Zeit zum Gespräch. Eins auf alle Fälle gilt als gewiss. Wenn am 9. November in Berlin die so genannte Bereinigungssitzung des Haushaltes tagt und auch über das kommende Kulturbudget „schlussverfügt“ wird, da herrscht Zuversicht, „wird es ein paar Kilometer mehr für Goethe geben“. So freut sich ein Insider, „und das wäre eine Trendwende“ in der auswärtigen Kulturpolitik.

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