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Fährmann wider Willen. Alexander Fehling im Flussdelta.

© Filmgalerie 451

Kino-Debüt von Jan Zabeil: Irgendwo in Afrika

Ein junger Deutscher geht in Afrika verloren. Jan Zabeil erzählt in seinem Erstling „Der Fluss war einst ein Mensch“ in aller Ruhe eine spektakuläre Geschichte – mit Alexander Fehling in der Hauptrolle.

Als Ulrich Köhler vergangenes Jahr seine afrikanische Meditation „Schlafkrankheit“ im Wettbewerb der Berlinale zeigte, da gab es bei der Pressevorstellung am Ende Gelächter. Schmerzhaftes Gelächter. Eine Filmfigur war nachts aus dem Geschehen verschwunden, und anderntags trabte ein gewaltiges, leinwandfüllendes Nilpferd durch den Dschungel am Fluss. Das Bild hatte ein Zeichen gegen die Unerbittlichkeit des Todes sein sollen, weil die Seelen eines Tages, eines Nachts doch nur den Körper wechseln. Aber wer da lachte, verstand nur Zoo.

Eine Seelenwanderung der ruhelosen Art bestimmt – bis in den Titel hinein – auch Jan Zabeils ganz ohne Buch konzipiertes, chronologisch gedrehtes Debüt „Der Fluss war einst ein Mensch“, aber derlei visuellen Missverständnissen setzt sich der leise, ungewöhnliche Film nicht aus. Er lässt lieber weg, wo zur Zuschauerfantasie nur noch das bestätigende Bild fehlt. Er verführt, indem er behutsam aus Erwartungen entführt. Und stürzt sich in aller Ruhe in das Abenteuer der Reduktion, angefangen mit dem, was andere gern zum ersten Drauflospinseln inspiriert: mit der Geschichte selbst.

Ein junger deutscher Schauspieler, gespielt von einem wunderbar still neugierigen, still verstörten Alexander Fehling, ist irgendwo in Afrika unterwegs. Wie anfangs in „Schlafkrankheit“ ist es Nacht – und der Gegenverkehr auf der Buschpiste bloß ein böse tanzendes Licht auf der moskitoleichenverschmierten Frontscheibe. In einer winzigen Fähre setzt der Reisende am nächsten Tag über den Fluss, und schon ist er der einzige Passagier in einem Einbaum, mitten in gewaltiger, horizontweiter Flusslandschaft. Ein alter Mann führt das schmale Boot wie eine Gondel, im Heck stehend, mit langem Ruderstab. Mehr braucht es nicht als: Wasser. Grün. Wolken. Hitze. Und das Sirren der Insekten.

Wohin geht es? Wir wissen es nicht. Warum ist der junge Mann aufgebrochen? Ebenso wenig. Ja, er sei ein „Ekta“, so erklärt er dem Alten seinen Beruf, und der bietet zum Verständnis an: „Dokta?“, und damit hat es sein Bewenden. Man übernachtet am Feuer, und der alte Mann sagt, dass Elefanten Menschen genauso jagen können, wie Löwen Menschen jagen, nur weil die Menschen Menschen sind, also: Eindringlinge. Andernmorgens erwacht der Deutsche auf der blauen Plastikplane, die sein Bett ist, und sein Begleiter ist tot.

Ja, mehr braucht es nicht für das Drama, für die Action, die nun in diesem minimalistisch entworfenen Universum implodiert. Menschenseelenallein ist der bleichgesichtige Tourist plötzlich in einer Weite, die ihm der andere vom Leibe gehalten hatte, und eine Robinsonade der besonderen Art hebt an. Fehling muss selber zum Fährmann werden, das ist das Erste; die Leiche, eingepackt in die Plane, nimmt er ins Boot. Der Abenteuerausflug: eine Totenreise. Und was jetzt, ausgeliefert Durst und Hunger und womöglich den Elefanten?

Nur so viel: Alles, was das Kino sonst gerne aus derlei Voraussetzungen herauszaubert, selbst das trickreich mit der Abwesenheit realer Schreckensbeweise spielende à la „Blair Witch Project“, geschieht nicht. Gerade deshalb zieht einen „Der Fluss war einst ein Mensch“ unweigerlich in seinen Bann. Irgendwann ist da, in weithin verzweigter Flusslauf-Einöde, eine Hüttensiedlung am Ende der Welt, aber kein Colonel Kurtz erwartet den Fremden, kein lärmendes Voodoo. Die Bewohner tragen globalisiertes Allerweltszeug, und es gibt sogar Motorboote, wobei die Deckel der Außenborder mitunter auch zum Wasserschöpfen dienen. Nur ist der junge Weiße damit keineswegs gleich wieder in der ihm geläufigen Welt angekommen, im Gegenteil.

„Verloren gehen“: Das sei das einzige Konzept gewesen, sagt der Regisseur und löst es auf seine Weise ein. Alles Weitere ist Spannung, sind Überraschungen, aber sie schreiten gemächlich wie Flusspferde durchs Bild, und nach einer kurzen Unendlichkeit ist nichts mehr fremd. Mitten in dem, woraus Filmleute, nicht Ulrich Köhler, ihre exotischen Afrika-Kulissen zaubern, regiert eine höchst einleuchtende Normalität, und der Fremde nimmt sehr zwangsläufig an ihr teil. Schuld wäscht sie nicht aus, auch nicht Schmerz, nicht Trauer; so wie einem das Sirren der Insekten ins Ohr geht wie ein Tinnitus, ein Anderswosein, das einem fortan im Kopfe wohnt. Jan Schulz-Ojala

Ab Donnerstag im Delphi, Filmtheater am Friedrichshain, International, Kant und Neuen Off

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