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Chef-Fahnder. J. Edgar Hoover (Leonardo DiCaprio) verkörpert die amerikanische Paranoia wie kein Zweiter. „J. Edgar“ startet am Donnerstag in den Kinos.

© Warner Bros.

Kino: Der Mann, der die Angst erfand

Clint Eastwoods Kinodrama über den FBI-Gründer J. Edgar Hoover, mit Leonardo DiCaprio in der Rolle von Amerikas berühmtesten Agenten.

Das Porträt eines umstrittenen Mannes ist immer eine heikle Sache. Zeigt man ihn als Monster mit menschlichen Zügen oder als tragische Figur? Versucht man es mit einer psychologischen Herleitung? Clint Eastwood hat sich in seinem neuen Film J. Edgar Hoover vorgenommen, den Gründer und langjährigen Chef des FBI. In diesem Fall gibt es noch ein besonderes Problem. Hoover prägte zwar sein Land wie wenige sonst. Aber er war dennoch kein großer Mann.

Leonardo DiCaprio als Hoover bekommt diese Gratwanderung ziemlich gut hin. „J. Edgar“ erzählt dessen Lebensweg vom Eintritt in den Staatsdienst bis zum Tod, stets begleitet von den beiden Weggefährten Helen Gandy, der lebenslangen Sekretärin des FBI-Chefs (Naomi Watts), und Clyde Tolson, dessen lebenslangem Stellvertreter und heimliche Liebe (Armie Hammer).

Der Erzählrahmen – Hoover diktiert seine Memoiren – führt dazu, dass sich die Zeitebenen ineinanderschieben, und das geht Eastwood leider nicht gut von der Hand. Zum einen irritiert die permanente Maskenbildnerei – für die Darstellung des 70-jährigen Hoovers wurde sogar DiCapriops Gesichtsform verändert. Außerdem kommt „J. Edgar“ kaum je richtig in Fluss. Immer wieder wird zur Fahndung nach dem Entführer des Charles-Lindbergh-Babies im Jahr 1932 zurückgeblendet, immer wieder scheint der Film auf der Stelle zu treten. Mag sein, dass das Ereignis für die Etablierung des FBI und als Initialzündung für Hoover bedeutsam war. Die Ausführlichkeit aber, mit der die Episode ausgebreitet wird, steht im Missverhältnis zur Resonanz, die solch eine Nebenhandlung beim Zuschauer entfalten kann. Umso mehr, wenn ein Regisseur am Werk ist, der sich Sentimentalitäten verkneift.

Eastwoods Talent für Zwischentöne kommt hingegen in den Szenen mit Hoover und seiner Mutter (Judy Dench) oder Clyde Tolson zum Tragen. Vor allem die nicht gelebte homosexuelle Liebe von Hoover und Clyde zeichnet Eastwood mit sicherer Hand – zurückhaltend, aber einfühlsam. Die durchweg bedrückende Atmosphäre in den spärlich ausgestalteten Räumen verleiht dem Film unterschwellige Intensität. Großartig auch, wie die Ermordung Kennedys erwähnt wird: knapp und mit grimmigem Witz. Als der Anruf kommt, ist Hoover gerade mit dem Tonband einer Abhöraktion beschäftigt, das lustvolle Stöhnen einer Frau wird zum dissonanten Soundtrack der Todesnachricht. Hoover war in seiner Festung zu dem Zeitpunkt schon weitgehend abgekoppelt von dem, was draußen passierte.

Eastwood erzählt aus der Gott-Perspektive, streng, aber zärtlich.

Insgesamt ist der Film allzu behutsam geraten. Eastwood erzählt wie aus der Gott-Perspektive, streng, aber zärtlich. Erst zum Ende hin wird klar, dass es oft auch Hoovers Blick auf sich selbst ist, der ins Bild gesetzt wird. Und zwar sehr viel buchstäblicher als üblich: Die Rückblenden sind teils reine Fantasie, sie illustrieren von ihm selbst imaginierte Szenen.

Weil Hoovers Beziehungen zur dominanten Mutter, zur selbstlosen Sekretärin und zum heimlich geliebten Clyde im Vordergrund stehen, erlebt der Zuschauer ihn vor allem als eitel, stur und verletzlich. Aber dieser Mann war ein Tyrann. Ein mächtiger Tyrann, der aus dem Verborgenen herrschte, der nicht entmystifiziert zu werden braucht, indem man ihn als Mensch zeigt. Die Figur müsste vielmehr immer wieder aus dem selbstgewählten Dunkel herausgerissen werden.

Vor lauter Introspektion vermittelt „J. Edgar“ kaum ein Gefühl dafür, wie einflussreich dieser Mann war, wie viele Leben er zerstörte. Hoover ließ Menschen deportieren, er log und manipulierte, handelte so verschlagen wie seine Gegner, die er bald überall vermutete. Selbst vor Erpressung schreckte er nicht zurück: John F. Kennedy und Martin Luther King gehörten zu jenen, gegen die er das Wissen aus seinen Geheimakten auch eingesetzt hat.

Hoover ist weder ein Monster, noch eine tragische Figur.

Eastwood zeigt Hoover also weder als Monster mit menschlichen Zügen noch als tragische Figur, sondern reiht schlicht Szenen aus dem Leben aneinander. Sein Film entwickelt kein Gewicht, kein Drama, sondern bleibt seltsam leer und folgenlos. Erzählenswert aber ist Hoovers Geschichte nicht zuletzt deshalb, weil seine Person eines geradezu überdeutlich verkörpert: die amerikanische Paranoia, die politisch immer wieder instrumentalisierte Angst vor Kommunisten und sogenannten Radikalen. Und die Neigung, kriminelle Methoden und Verfassungsbruch mit dem Verweis auf patriotische Notwendigkeit zu rechtfertigen. Beides gelangte im Lebenswerk Hoovers erstmals zu voller Blüte.

Zwar macht Clint Eastwood den wirkungsvoll inszenierten Anschlag von 1919 auf Generalbundesanwalt Palmer zu einer Schlüsselszene des Films – und der amerikanischen Geschichte: als Geburtsstunde eines radikalen Anti-Radikalismus von Staats wegen. Dann jedoch rückt Hoovers politisch-ideologische Seite zunehmend in den Hintergrund, zugunsten der Liebesgeschichte und historischer Kriminalistik. Am Ende leisten sich Eastwood und sein Drehbuchautor Dustin Lance Black („Milk“) sogar einen regelrechten historischen Fehler. Als Richard Nixon 1969 Präsident wird, inszenieren sie dessen Antritt wie einen Zeitenwechsel, ganz so, als beginne nun die Ära der Opportunisten.

Das rückt J. Edgar Hoover nicht nur in ein schmeichelhaftes, fast nostalgisches Licht, nach dem Motto: Er hat’s halt übertrieben, aber wenigstens hatte der alte Mann noch Überzeugungen! Es erweckt zudem den Eindruck, mit Hoover sei fehlgeleiteter Patriotismus und störrische Paranoia ans Ende gelangt. Um zu erkennen, dass eher das Gegenteil der Fall ist, braucht man nicht einmal George W. Bushs Krieg gegen den Terror zu bemühen. Es genügt eine beliebige Veranstaltung aus dem Vorwahlkampf der Republikaner 2012.

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