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Kino: Ab ins Tiefe

Andreas Kleinerts „Freischwimmer“

Die Sonne lacht. Die Vögel zwitschern. Freundlich grüßen sich die Kleinstadtbewohner. Und die japanischen Touristen streifen staunend durchs malerische Städtchen. Selbst der Schulchor stimmt ein in das romantische Lied von den Gedanken, die frei sind. Nun gut, die Töne des Glockenturms kommen vom Band. Und die Pastorin – mit dem sprechenden Namen Karin Durst – wirkt ein bisschen versoffen und frivol. Doch ansonsten scheint morgens um zehn die deutsche Märchenwelt noch in Ordnung.

Bis plötzlich ein Mord geschieht. Der Schwimmstar des Kafka-Gymnasiums wird vergiftet aufgefunden – ein Versehen, wie sich alsbald herausstellt. Denn eigentlich war Rico Bartsch (Frederick Lau), ein schwerhöriger Außenseiter mit Hang zur Kunst, als Opfer gedacht. Nur: warum? In seiner Niedergeschlagenheit sucht der vaterlose Junge Trost beim Deutschlehrer und Ersatzpapa Wegner (August Diehl), der in einem sonderbar biedermeierlich eingerichteten Haus tief versteckt im Walde lebt. Außerdem treten auf: das blonde Gift Regine (Alice Dwyer), eine fille fatale mit Veronica-Lake-Frisur, der nicht nur Rico verfallen ist; der zackig-gestrenge Sportlehrer Sammer (Devid Striesow), der mit Ricos Apotheker-Mutter (Dagmar Manzel) eine Affäre hat; die spießige Musiklehrerin Michaela Rammelow (Fritzi Haberlandt), die ihrerseits heimlich mit dem Kunstlehrer verbandelt ist. Diese Figuren spielen ein zusehends dämonisches Stück, das das Bizarre hinterm alten Kleinstadtgemäuer freilegen wird.

So weit, so nett. Wenn die Sache doch nur so einfach wäre. Einer der ersten Sätze des Films lautet: „Na, machst Du wieder Kunst?“ Auch Regisseur Andreas Kleinert wird die Geister dieser Frage nicht mehr los. Denn je länger „Freischwimmer“ dauert, desto stärker drängt sein eigener Kunstwille in den Vordergrund. Motive wie Schwimmen, Schießen und Jagen kehren mit solch aufdringlicher Regelmäßigkeit wieder, dass sie unbedingt als bedeutungsschwanger gelesen werden wollen. Ab und an raunt irgendwer gekünstelte Sätze wie „Das Modell ist das Abbild des Lebens“. Und der deutsche Stummfilm wird zitiert, ohne dass ein Grund dafür erkennbar wäre.

Mit der Erzählung sieht es leider ganz ähnlich aus. Für einen Kriminalfilm bleibt die Frage nach dem Mörder zu unbedeutend. Als Kleinstadtfarce ist der Film nicht bissig genug. Die Märchenelemente werden immer wieder von zeitdiagnostischen Kommentaren verdrängt. Und das Genre der philosophisch-expressionistischen Kriminalmärchenfarce wiederum hat bisher niemand vermisst. „Freischwimmer“ dürfte daran kaum etwas ändern. Julian Hanich

Delphi, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, Neues Off, Yorck

Julian Hanich

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