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Aids-Drama: Schneise der Hoffnung

Hart: Oliver Schmitz’ südafrikanisches Aids-Drama „Geliebtes Leben“.

Die Särge sind kaum größer als ein Schuhkarton und stehen im Hinterzimmer des Bestattungsunternehmens. Chanda (Khomotso Manyaka) ist zwölf und viel zu jung für diesen Ort. Aber die Mutter (Lerato Mvelase) ist krank vor Schmerz und der Stiefvater (Aubrey Poolo) säuft. Und so geht Chanda los und organisiert das Begräbnis für die kleine Schwester, die kein Jahr alt geworden ist.

Das Mädchen ist die zentrale Figur in Oliver Schmitz südafrikanischem Familiendrama „Geliebtes Leben“. Die Welt in dem kleinstädtischen Township in der Nähe von Johannesburg wird aus ihrer Sicht gezeigt. Was sie versteht, versteht auch das Publikum. Was für Chanda ein Rätsel ist, muss auch der Zuschauer erst gemeinsam mit ihr erkunden: Der plötzliche Tod des Babys, die Vorwürfe des Vaters, der seine Frau beschuldigt, den Säugling vergiftet zu haben, die vorwurfsvollen Blicke der Nachbarn, die bei aller Freundlichkeit zur Familie immer eine gewisse Distanz bewahren. Dahinter steckt, wie Chanda allmählich herausfindet, eine Krankheit, die als Schande empfunden wird.

Der Film geht schon auf sein Ende zu, bis das Mädchen das Wort endlich ausspricht, das keiner in den Mund nehmen will, als sei allein sein Klang schon ansteckend. Aids ist in Südafrika trotz oder vielleicht gerade wegen der enorm hohen Infektionsrate immer noch ein Tabuthema. Rund zwanzig Prozent der südafrikanischen Bevölkerung sind HIV-infiziert und über 800 000 Aidswaisen leben dort auf sich allein gestellt und ohne staatliche Unterstützung. So wie Chandas Freundin Esther (Keaobaka Makanyane), die in einem Stall bei entfernten Verwandten haust und auf dem Rastplatz ihre sexuellen Dienste anbietet. Schmitz hat als Kulisse ein kleinstädtisches Township gewählt, in dem die sozialen Strukturen bei aller Enge immer noch intakt sind. Die Nachbarin kümmert sich mehr, als Chanda lieb ist um die Familie. Die Kirchengemeinde gibt der erkrankten Mutter ein paar Näharbeiten. Die Häuser sind klein, aber keineswegs verwahrlost. In „Geliebtes Leben“ geht es nicht um Sozialtristesse und Elendsvoyeurismus, sondern um die Folgen der Tabuisierung besonders für die Kinder der Erkrankten. Mit einer starken Mädchenfigur, die der Wahrheit auf den Grund geht und sich vehement für einen humanen Umgang mit der infizierten Mutter einsetzt, schlägt Schmitz, der als Sohn deutscher Emigranten in Südafrika aufgewachsen ist und hier den Roman von Allan Stratton adaptiert, eine Schneise der Hoffnung durch eine im Grunde sehr trostlose Geschichte. Sein dritter Spielfilm ist nicht frei von Sentimentalitäten, doch sein Analysevermögen wird dadurch nicht beeinträchtigt. Schmitz beschreibt mit exemplarischer Genauigkeit die fatalen Wirkungsmechanismen eines offenen Geheimnisses, das jeder kennt, aber keiner zu benennen wagt.

Broadway, Cinemaxx Potsdamer Platz, Kant Kino, Kino in der Kulturbrauerei,

Passage, OmU: Hackesche Höfe

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