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Minghella

© AFP

Anthony Minghella: Mitten aus dem Leben

Er wird durch einen mit besessener Sorgfalt gemachten Welterfolg in Erinnerung bleiben, der von Hast nichts wissen will - "Der englische Patient“: Zum Tod des Regisseurs Anthony Minghella.

Letzten Sommer noch drehte er in Botswana „No. 1 Ladies’ Detective Agency“ – eine BBC-Serie nach dem Krimi-Bestseller von Alexander McCall Smith. Zuletzt arbeitete er, wie schon bei „Madame Butterfly“, für die New Yorker Met, nur diesmal an einem eigenen Werk, das er auch selbst inszenieren sollte. Nächsten Juni war er für Schanghai gebucht, als Jurypräsident des wichtigsten internationalen Filmfestivals in China. Und. Und. Und.

Und Stille. Mitten aus dem Leben, so sagt und schreibt man, wenn das Gehirn sich kurzzeitig weigert, eine Nachricht abzuspeichern, mitten aus einem rastlosen Leben wurde gestern in London der Filmregisseur Anthony Minghella gerissen, mit 54 Jahren, nach einer zunächst gut verlaufenen Tumor-Operation am Hals. Einer, der nach vorn lebte, der es liebte, „sich beeilen“ zu müssen, wie er einmal im Tagesspiegel-Interview sagte, einer, der „die Uhr ticken hört“ und das als Ansporn betrachtete, noch dies zu schaffen und jenes und, solange Zeit bleibt, alles besser und besser.

In der Menschheitserinnerung aber, nein, das ist dafür kein zu großes Wort, wird dieser ganz und gar irdische Lebensgourmand Anthony Minghella durch einen mit besessener Sorgfalt gemachten Welterfolg bleiben, der von Hast nichts wissen will. „Der englische Patient“, 1997 mit neun Oscars ausgezeichnet, war ein wie aus der Zeit gefallenes, übergroßes Kriegs- und Liebesepos vor grandioser Kulisse, das „Casablanca“ des sich neigenden Jahrhunderts, aufscheinend in der gigantischen Rückblende eines Lebens: Ralph Fiennes und Kristin Scott Thomas spielten die Hauptrollen – und, besonders anrührend, Juliette Binoche die Pflegerin des Kriegsversehrten in einer toskanischen Klosterruine.

Überhaupt, Italien! Als Herzensitaliener sah sich Minghella, Nachfahre von Einwanderern und aufgewachsen auf der Isle of Wight als fremdelnder Brite, der aus so viel Heimatlosigkeit stracks ins Weltbürgertum floh. Von der italienischen Sonne auch, die so verschwenderisch in seiner Highsmith-Verfilmung „Der talentierte Mr. Ripley“ (1999) leuchtete, ließ sich prima einen ganzen Winter lang leben; das US-Bürgerkriegsdrama „Unterwegs nach Cold Mountain“, womit die Berlinale 2004 kühl eröffnete, geriet dagegen zum Klimaschock, da mochten Musik und Bilder die Gefühle des sich zu seiner Liebsten zurückkämpfenden Deserteurs noch so sehr schüren.

Diese drei Breitleinwandgemälde, allesamt bigger than life, nehmen nun souverän die Mitte eines Werks ein, vom Vorher – den Komödien „Truly Madly Deeply“ (1990) und „Mr. Wonderful“ (1993) – und vom Nachher uneinnehmbar. Es sei denn von den Anfängen selbst. Minghellas Eltern hatten es zum Eiscafé und zur kleinen Eisfabrik gebracht, aus jener Zeit als Eisverkäufer im Saal nur ein paar Häuser weiter rührt Anthony Minghellas erste Erinnerung ans Kino. Nichts süßer, nichts aromatischer, nichts frischer als das. Jan Schulz-Ojala

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