zum Hauptinhalt

CITY Lights: Das Betriebsfest als Totentanz

Frank Noack blickt kritisch auf die Adenauer-Ära

In den letzten Wochen war verstärkt von Jugendkriminalität und Jugendarmut die Rede. Wie praktisch, dass das Zeughauskino gleich zu Beginn des Jahres eine filmische Ausgrabung im Programm hat, in der beide Themen angesprochen werden. Inspiriert durch den Überraschungserfolg „Die Halbstarken“ gab Arthur Brauner 1957 einen Film mit dem ebenso programmatischen Titel Die Frühreifen in Auftrag (Freitag). Seinerzeit als Routineprodukt belächelt, überrascht dieses Ruhrpott-Drama den heutigen Betrachter mit der Erkenntnis, dass es im Kino der Adenauer-Ära so etwas wie Kapitalismuskritik gegeben hat. Natürlich wird das System als solches nicht angegriffen, aber der Film verweist auf soziale Ungerechtigkeit und prangert den Machtmissbrauch durch eine verantwortungslose Oberschicht an. Heidi Brühl ist als 16-jährige Verkäuferin zu sehen, die zehn Stunden lang hinter dem Ladentisch steht und für Modenschauen als Gratismodel ausgebeutet wird. Wenn sie und ihr Freund einen sonntäglichen Ausflug ins Grüne unternehmen, stört Schwefelgeruch die Romantik, und die längst nicht mehr verliebten Eltern sitzen allein deshalb eng beieinander, weil ihr Strombudget nur für eine Glühbirne reicht. Als Kontrast dazu präsentiert Regisseur Josef von Baky die verwöhnten Söhne aus reichem Elternhaus: Christian Wolff als dekadenter Intellektueller und, in der verblüffendsten und mutigsten Darstellung des Films, der damals 18-jährige Peter Kraus als Ekelschnösel. Wie er die jungfräuliche Sabine Sinjen verführt, den Akt heimlich filmt und das Super-8-Werk seinen Freunden vorführt, das ist ebenso widerlich wie umwerfend.

Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene waren ein Lieblingsthema des Defa-Regisseurs Heiner Carow, von dem das Babylon Mitte in seiner inoffiziellen Reihe mit Nachwendetragödien das Abschlusswerk Verfehlung (Dienstag und Mittwoch) zeigt. Man kann es dem Publikum nicht verübeln, dass es damals einen weiten Bogen um diesen Film gemacht hat; zugleich muss man der Defa und Carow dankbar sein für dieses Dokument einer zerfallenden Gesellschaft. Bei der Verfehlung handelt es sich um Angelica Domröses verbotene Liebe zu einem Hamburger Arbeiter. Ihr Sohn landet in der Psychiatrie, sie selbst wird zur Mörderin. Inszenatorisches Glanzstück ist ein miefig-muffiges Betriebsfest, das Carow wie einen Totentanz aussehen lässt.

Mit Frust verbindet man auch das skandinavische Kino. Dabei gründete sich der Weltruhm des skandinavischen, insbesondere des schwedischen Kinos weder auf Frust noch auf heiler Welt, sondern auf der entfesselten Natur. Selbstverständlich gab es auch in anderen Ländern Versuche, der Enge der Ateliers zu entfliehen, aber im nordischen Film waren Schnee und Eis aktive Mitwirkende. Das Arsenal stellt drei Meister aus dieser Blütezeit vor: Victor Sjoströms Der Fuhrmann des Todes (Freitag), Mauritz Stillers Herr Arnes Schatz (Sonnabend) und Benjamin Christensens Hexen (Sonntag) erzählen komplizierte, grausame Geschichten vor majestätischer Kulisse. Alle drei Filme sind um 1920 entstanden, und alle drei Regisseure wurden nach Hollywood eingeladen, wo sie scheiterten. Nur Sjoström war ein Comeback im Alter beschieden: Ingmar Bergman gab ihm 1957 die Hauptrolle in „Wilde Erdbeeren“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false