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CITY Lights: Doppelt und dreifach

Silvia Hallensleben macht im Off die Nächte durch

Der alte Berliner Westen wandert unaufhaltsam an die Peripherie des urbanen Kräftefelds. Vielleicht auch deshalb wird an dieser Stelle immer wieder cineastischer Westalgie gefrönt: Mit Trauer über viele auf immer erloschene Lichtspielpaläste und Lichtspielhäuschen. Viele unter den Letzteren gehörten in den sechziger und siebziger Jahren zur legendären, heute weitgehend ausgestorbenen Spezies der Programmkinos: Hier präsentierten engagierte Kinomacher, bevor der Videoplayer das gezielte Filmegucken individualisierte und privatisierte, ganze Reihen mit Filmen bestimmter Regisseure, bestimmter Weltgegenden oder auch bestimmten, gern auch politisch relevanten Themen. Konzentration statt Konfektion: Das war damals die Devise.

Spaß aber gehörte auch unbedingt dazu, etwa bei langen Kinonächten, in denen sich Cineastengemeinden der A-, B- und C-Picture-Kategorie bis zum Morgengrauen auf oft unbequemem Gestühl nebeneinander fläzten. In zeitgemäß komfortablerem Rahmen knüpft nun das liebevoll restaurierte Neue Off in der Neuköllner Hermannstraße zum 30. Geburtstag an diese dort einst erfolgreich gepflegte Tradition an. Ab 9. Mai wird die Leinwand wöchentlich in der Nacht zum Sonntag mit Doppel- und Dreifach-Spätprogrammen bestückt; den Anfang machen Filme von Wolfgang Murnberger und Jim Jarmusch. Vorher aber wird an diesem Montag zur normalen Kinozeit bei freiem Eintritt und Freibier gefeiert – und mit dem Film, der zur Eröffnung 1979 auf dem Programm stand: John Carpenters Anschlag bei Nacht, nach „Dark Star“ der zweite Spielfilm des US-Regisseurs. Die Geschichte der nächtlichen Belagerung eines Polizeireviers in L. A. gilt heute als B-Picture, ist aber so zeitlos, dass sie längst als Genre-Archetyp erscheint. Carpenter gelingt es brillant, die damals brennende Aktualität großstädtischen Bandenwesens mit Urängsten vor Finsternis und Tod zu vereinen.

Auch Audrey Hepburn, erst unlängst hier mit Ausstellung und Filmprogramm im Hauptbahnhof gewürdigt, ist ja nicht nur der süße Fratz. Von dunklerer Tonlage sind drei eher seltene Filme, die von Montag bis Mittwoch im Lichtblick gezeigt werden. Am eindringlichsten William Wylers The Children’s Hour / Infam (1961, Montag und Dienstag). Darin werden die Gründerinnen einer neuenglischen Mädchenschule von ihrem bigotten Umfeld in den Ruin getrieben. Der unausgesprochene, doch direkt fühlbare Verdacht lesbischer Liebe ist für Wyler Anlass, die psychische Zerstörung zweier Frauen durch soziale Isolation zu zeigen. Neben Hepburn glänzt Shirley MacLaine in einer ungewohnt unniedlichen Rolle. Komische Entlastung geben Miriam Hopkins und Fay Bainter in grandiosen Nebenrollen. Deren Biestigkeit mag unterhaltsamer wirken als das stille Leid. Doch aus der Welt ist es heute noch lange nicht.

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