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CITY Lights: Fluchtwege, Auswege

Frank Noack begibt sich auf die mannigfaltigen Spuren des Exils

Über Kurt Gerron, den in Auschwitz ermordeten Schauspieler und Regisseur, sind Dokumentarfilme gedreht worden, und es gibt ein Buch über ihn. Sein originäres künstlerisches Schaffen jenseits des Schauspielens dagegen ist, abgesehen von seinen Nebenrollen in der „Dreigroschenoper“ und im „Blauen Engel“, weitaus weniger bekannt. Die seltene Gelegenheit, eine seiner Regiearbeiten zu begutachten, bieten nun die Eva-Lichtspiele. In diesem Wilmersdorfer Kino mit Patina wird am Mittwoch Ein toller Einfall (1932) gezeigt. Die im Titel intonierte Idee: Ein Schloss wird zum Hotel umgewandelt – mit dem Ergebnis, dass Adlige, Revuegirls und reiche Touristen sich gegenseitig auf die Füße treten. Neben Publikumsliebling Willy Fritsch ist die Elite der deutschen Filmkomiker zu sehen, darunter Wilhelm Bendow, Theo Lingen und Adele Sandrock. Ein Jahr später floh Gerron über Paris schließlich nach Amsterdam – nie nach Amerika, weil er immer auf einen Umschwung im nahen Deutschland hoffte.

Leopold Jeßner war auf 1933 besser vorbereitet. Der jüdische Sozialdemokrat und vehemente Verfechter des politischen Theaters, der das Staatliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt leitete, gehörte zu den profiliertesten und umstrittensten Künstlern der Weimarer Republik. Sein 1921 gedrehter Stummfilm Hintertreppe (heute im Arsenal) hielt sich mit politischer Agitation zurück, auch wenn soziales Elend eine Rolle spielte. Henny Porten steht als Dienstmädchen zwischen zwei Männern, am Ende sind alle tot oder im Zuchthaus. Jeßner starb, als Regisseur völlig vergessen, 1945 in Hollywood. Zuletzt betätigte er sich bei MGM als Lektor.

Jeßners Amerika wurde zum Fluchtort schlechthin – eine spürbare Fluchtbewegung von US-Künstlern nach Europa gab es nur während der McCarthy-Ära der Fünfzigerjahre. Nach dieser Schreckensperiode suchten Hollywoodstars wegen steuerlicher Vorteile weiterhin Arbeit in Europa; zudem kränkelte die heimische Filmindustrie. Am meisten profitierte Italien von diesem Exodus. Bette Davis spielte 1963 in Cinecittà in der Moravia-Adaption Die Nackte (Freitag im Zeughauskino) die besitzergreifende Mutter eines schwer neurotischen Malers (Horst Buchholz), der einer Nymphomanin verfällt. In der ebenfalls 1963 gedrehten Moravia-Verfilmung Die Gleichgültigen (Sonntag, auch in der Moravia-Reihe des Zeughauskinos), einem morbiden Gesellschaftsdrama, tummeln sich Paulette Goddard, Rod Steiger, Shelley Winters und Claudia Cardinale. Niemand musste eine Fremdsprache lernen, Amerikaner und Italiener blieben jeweils bei ihrer Muttersprache, alle Dialoge wurden nachsynchronisiert. Das Ergebnis ist gewöhnungsbedürftig, aber reizvoll.

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