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CITY Lights: Preis am Stiel

Frank Noack empfiehlt Hits und Geheimtipps des israelischen Kinos

Jede Industrie ist stolz auf ihre Auslandserfolge. Die Filmindustrie allerdings verschweigt sie manchmal lieber. Als etwa im Zuge der sexuellen Revolution der Schwedenfilm boomte, waren damit nicht Werke von Ingmar Bergman gemeint, sondern billig heruntergekurbelte FKK-Komödien. Zu den begehrtesten Exportartikeln der Bundesrepublik gehörte der „Schulmädchenreport“. Und der bekannteste israelische Film ist bis heute „Eis am Stiel“, mit unzähligen Fortsetzungen und Imitationen. Ja, wenn es einen großen alten Mann des israelischen Kinos gibt, dann ist es der 79-jährige Menahem Golan, der seine „Eis am Stiel“-Profite in Sylvia Kristels nackte Haut und Chuck Norris' Kampfkunst investierte.

Diesen Eindruck zu korrigieren, hat sich das Zeughauskino vorgenommen. Hier läuft derzeit eine Filmreihe, die den 60. Jahrestag der Gründung Israels würdigt. Dabei kommt auch Menahem Golans Erstling zur Aufführung: 1963 drehte er das Gaunerdrama Eldorado (Sonntag), dessen Antiheld in der Tradition von Jean Gabin und Humphrey Bogart steht: ein Krimineller mit Charakter, ein Außenseiter zwischen den Fronten, von der Polizei ebenso gejagt wie von den ehemaligen Komplizen. Selbst sein Liebesleben verläuft kompliziert; er muss sich zwischen einer Prostituierten und einer Anwaltstochter entscheiden. In der Hauptrolle: Chaim Topol, der später mit dem Musicalfilm „Anatevka“ Weltruhm erlangte. Wegen der internationalen Popularität von Ephraim Kishon fand auch Der Blaumilchkanal (Freitag) viel Beachtung, den der Autor selbst inszenierte. Die Geschichte des Herrn Blaumilch, der nach der Flucht aus der Psychiatrie einen Presslufthammer stiehlt und ganze Straßen lahmlegt, ist eine gnadenlose, urkomische Abrechnung mit der Bürokratie. Noch verrückter geht es in Uri Zohars Loch im Mond (heute und Sonnabend) zu, einem Experimentalfilm mit selbstreflexiven Zügen. Dass zwei Saftverkäufer sich mangels Kundschaft gegenseitig Saft verkaufen, ist erst der Anfang der übermütigen Farce, in der Zohar auch den zionistischen Realismus parodiert – eine Kunstrichtung, die vom sozialistischen Realismus inspiriert war.

Nissim Dayan hatte eher den italienischen Neorealismus vor Augen, als er 1973 ein Tel Aviver Armenviertel als Drehort wählte: Light Out of Nowhere (Freitag und Sonntag) beleuchtet am Beispiel eines 17-Jährigen die Situation von Juden orientalischer Herkunft, die von der ashkenasischen Oberschicht als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Ein Kassenerfolg wäre der harte Film, der die sozialen Widersprüche Israels zum Thema hat, womöglich ohnehin nicht geworden; wegen der patriotischen Stimmung im Jahr des Yom-Kippur-Kriegs aber reichte es nicht einmal zum Achtungserfolg.

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