zum Hauptinhalt

CITY Lights: Schnaps und Charmeure

Vielfalt und ästhetischen Radikalität: Silvia Hallensleben verkostet das feine osteuropäische Kino.

Seit siebzehn Jahren werden beim Filmfestival in Cottbus Filme osteuropäischer Provinienz gezeigt. Bei aller Vielfalt und – oft – ästhetischen Radikalität haben die filmischen Visionen dabei sexualpolitisch eine erstaunliche patriarchale Kontinuiät bewiesen. So erfreut es, wenn in Bohdan Slámas Country Teacher/ Venkovský Ucitel, der Montag als Berliner Fenster des Festivals im Passage-Kino gezeigt wird, einmal ein Schwuler im Zentrum stehen darf. Eine Freude, die sich trübt: Regisseur Bohdan Slama („Die Jahreszeit des Glücks“) hat die Geschichte um einen stadtflüchtigen Lehrer so problembelastet und verklemmt angelegt, dass man sich um Jahrzehnte zurückversetzt glaubt. Doch Hauptdarsteller Pavel Liska, seit „Die Rückkehr des Idioten“ (1999) einer der beeindruckendsten Akteure des tschechischen Kinos und das großartige Darstellerensemble helfen über solch inhaltliche Stolpersteine hinweg.

Kontinuierlich osteuropäische Filme gibt es im Kino Krokodil, das im Prenzlauer Berg Tag für Tag Novitäten und Historisches aus den Kinematografien jenseits der Oder auf die kleine Leinwand bringt. Diese Woche (Donnerstag, Freitag, Samstag und Mittwoch) steht dabei Andrzej Wajdas Asche und Diamant auf dem Programm, einer der Filme, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Ruf des polnischen Kinos begründeten. Es ist ein schöner Männerfilm alter Schule, wo die Kerle Verantwortung und Schuld tragen und hübsche Frauen Schnaps ausschenken und eine bessere Welt symbolisieren dürfen. Es ist der 8. Mai 1945, der Krieg ist vorbei, doch zwischen den Parteien des polnischen Widerstands wird noch erbittert um die Macht gestritten. Der junge Maciek bekommt Skrupel an seinem Auftrag, einen kommunistischen Funktionär zu töten. Wajda und Kameramann Jerzy Wójcik inszenieren die moralische Geschichte mit starken Lichteffekten und viel Tiefenschärfe. Hauptdarsteller Zbigniew Cybulskis Karriere endete schon 1967 bei einem Eisenbahnunfall.

Vom delikaten Schwarz-Weiß-Gemälden zu gelbstichigen Nahaufnahmen: Die Retro-Science-Fiction-Komödie Delicatessen, die 1991 den Ruhm des französischen Regieduos Marc Caro und Jean-Pierre Jeunet begründete, ist heute ein Klassiker. Ein postmoderner Klassiker, der seine Geschichte vom kannibalistischen Treiben in einem Pariser Mietshaus mit grotesken Perspektiven und düsterem Humor erzählt. Die überbordende Ideenfülle des im Comic-Stil erzählten Films traf den Nerv eines Publikums, das weniger an der Filmgeschichte als an Popkultur geschult war. Später hat sich Jean-Pierre Jeunet mit „Amélie“ in überzuckerte Gefilde begeben, der Geist von „Delicatessen“ lebt eher in Filmen von Michel Gondry weiter. Jetzt kommt der Film mit drei neuen Kopien in die Berliner Kinos.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false