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Citylights: Doppelgänger im Kino

Frank Noack sieht doppelt und empfiehlt vierfach.

Der berühmteste Doppelgänger aller Zeiten, Dr. Jekyll alias Mr. Hyde, ist Brite. Für das weltweite cineastische Interesse an dem Phänomen zeugen Ingmar Bergmans „Persona“, Krzysztof Kieslowskis „Die zwei Leben der Veronika“ und John Woo „Face/Off“. Dennoch gilt das Motiv als typisch deutsch – so sehr, dass das Wort „Doppelgänger“ international üblich geworden ist. Schon das frühe Kino bedient das Klischee vom zerrissenen, gespaltenen Deutschen. Als sich 1913 die Bühnenschauspieler Paul Wegener und Albert Bassermann bereit erklärten, für das neue Medium zu arbeiten, wählten sie Doppelgänger-Stoffe. Das war darstellerisch und filmtechnisch (Doppelbelichtung!) reizvoll: „Der Student von Prag“ und „Der Andere“ gelten als die ersten deutschen Filme von künstlerischem Wert. 1930 lag Der Andere als Tonfilm vor, mit Fritz Kortner in der Hauptrolle (Freitag im Zeughauskino). Die Schizo-Thematik wird dadurch zugespitzt, dass der Verbrecher, der seinen Körper mit einem Staatsanwalt teilt, diesen Gesetzeshüter umbringen will. Zu dumm, dass er ihm nie persönlich begegnet. Eine echte Kopfgeburt, dieser Film.

Eben noch Gesetzeshüter, dann Verbrecher: Gustav Fröhlich durchlebt diese Entwicklung in Joe Mays Asphalt (1929), einem der letzten Stummfilme, der seinen Klassikerstatus vor allem seiner Architektur verdankt (Sonnabend im Zeughaus). Mit hohem Aufwand – so wurde in den Ufa-Ateliers eine 400 Meter lange Straße errichtet – erzählt May von einem Polizisten, der eine Juwelendiebin verhaften soll, sich in sie verliebt und ihretwegen einen Totschlag begeht.

Die Geschichte eines Fehltritts erzählt – ohne melodramatische Effekte – G.W. Pabsts Nebenwerk Abwege (1928): Darin spielt Brigitte Helm eine vernachlässigte Anwaltsgattin, die sich dem Berliner Nachtleben und einem Boxer hingibt (Dienstag im Babylon Mitte). Das Doppelleben wird ihr nicht zum Verhängnis, auch gibt es weder Mord noch Selbstmord. Pabst gönnt dem jungen Ehepaar ein Happy End – mit bitterem Nachgeschmack. Auch den Existenzkampf einer Fotojournalistin und allein erziehenden Mutter könnte man als bürgerliches Melodram inszenieren. Stattdessen zeichnet sich Helke Sanders erster Spielfilm Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers (1977) durch Lust am formalen Experiment und aggressiven Witz aus (Dienstag im Zeughauskino). Die Protagonistin, von Sander selbst verkörpert, soll die geteile Stadt Berlin dokumentieren und wird sich dabei einer ganz anderen Teilung bewusst: der zwischen Männerwelt und Frauenwelt. Um eine weibliche Perspektive zu gewährleisten, hat Sander fast alle Funktionen mit Frauen besetzt.

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