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Der Feind in meinem Bett. In den „Stalag“-Heftchen geraten abgeschossene Fliegersoldaten in die Fänge nymphomanischer SS-Aufseherinnen.

© Moviemento

Dokumentarfilm: Die Busen des Bösen

Psychogramm einer nachhaltig traumatisierten Nachkriegsgesellschaft: "Pornografie & Holocaust": ist ein israelischer Film über Schundromane als Tabubrecher.

Das Böse sieht manchmal besonders verführerisch aus. Unter der halb geöffneten Bluse der Blondine wölbt sich eine erstaunliche Oberweite. Doch über ihren Brüsten baumelt ein Ritterkreuz, und in der Hand hält die Dame eine Reitpeitsche. Sie ist ein Monster, kein Mäuschen. Am Anfang des Dokumentarfilms „Pornografie & Holocaust“ kreist die Kamera über den Titelbildern von Pulp-Fiction-Heftchen, während eine sonore Stimme aus dem Inhalt zitiert: „Diese Soldaten waren Frauen, zwei Kolonnen weiblicher SS-Horden in engen Hosen und glänzenden Stiefeln. Heiliger Gott, murmelte einer von uns, echte Weiber mit Ärschen und Brüsten.“

Das Erstaunliche ist, wo dieser Nazischund entstanden ist: in Israel. Dort entwickelte sich Anfang der sechziger Jahre eine boomende Subkultur von sogenannten „Stalag“-Romanen, vermeintlich authentischen Erlebnisberichten aus der Hölle deutscher Kriegsgefangenenlager („Stammlager“). Die Plots folgten dem immergleichen Schema: Ein alliierter Bomberpilot wird abgeschossen, gerät in der Gefangenschaft an nymphomanische Aufseherinnen, die ihn foltern und vergewaltigen, und nimmt schließlich genüsslich Rache. Die Autoren nannten sich „Mike Longshot“ oder „Mike Baden“ und gaben sich alle Mühe, ihre Sätze hart und hemingwayesk klingen zu lassen, doch hinter den Pseudonymen steckten, wie Regisseur Ari Libsker mit detektivischer Akribie nachweist, israelische Autoren.

Einen von ihnen hat der israelische Filmemacher aufgetrieben, einen älteren Herrn mit Halbglatze, der sich seit frühester Kindheit von seiner Mutter ungeliebt fühlte. Sie stammte aus Deutschland, hatte die Konzentrationslager überstanden und zog sich danach in ihre Depressionen zurück. „Immer sprach sie mit mir vom Tod“, sagt der Sohn, der in seinen Groschenheften sozusagen stellvertretend Gewaltfantasien ausgelebt hat. In Amerika, klagt er, wäre er längst Millionär, aber in Israel wurden nur die Verleger reich. Die Auflagen der „Stalags“ erreichten bis zu 80.000 Exemplare, doch als sie immer expliziter wurden, griff der Staat ein, konfiszierte den Band „Ich war Oberst Schultzes Hündin“ und setzte dem Genre ein Ende.

Der Film, der scheinbar ein Randphänomen der Popkultur aufgreift, weitet sich aus zum Psychogramm einer nachhaltig traumatisierten Nachkriegsgesellschaft. Denn die Romane mit Titeln wie „Das Horror-Monster-Stalag“ oder „Der vermisste Pilot“ durchbrachen gleich zwei Tabus. Sie erzählten von Sex und – wenn auch indirekt und krude – vom Holocaust, einem Thema, das im Israel der Aufbauära verdrängt wurde. Zwar hatte in dem jungen Staat fast jeder zweite Einwohner den Massenmord in Europa überstanden, doch von den Ängsten der Opfer wollte keiner etwas wissen. Sie mussten sich stattdessen rechtfertigen. Eine Holocaust-Überlebende erzählt, dass sie sich ihre in Auschwitz auf den Arm tätowierte KZ-Nummer habe entfernen lassen, um nicht länger gefragt zu werden, was sie getan habe, um verschont zu werden.

Erst der Prozess gegen Holocaust-Organisator Adolf Eichmann, der im April 1961 begann, erschütterte die Öffentlichkeit. Die Zeitungen berichteten großformatig über die Verbrechen in den Todeslagern – gleich daneben wurde ganzseitig für „Stalag“- Hefte geworben. So mischen sich in Israel bei der Erinnerung an den Völkermord bis heute Fiktion und Wirklichkeit.

Den spektakulärsten Auftritt im Eichmann-Prozess hatte der Zeuge Yehiel Feiner. Er berichtete von seinen Erfahrungen auf dem „Planeten Auschwitz“ und brach bewusstlos zusammen. Seine unter dem Pseudonym „K. Zetnik“ verfassten Bücher sind in Israel bis heute Schullektüre. Im Bestseller „Haus der Puppen“ schrieb er über jüdische „Feldhuren“, die ihren SS-Peinigen zu Diensten sein mussten. Ein Mythos, der inzwischen von Historikern widerlegt wurde. Auf eine bizarre Weise, das zeigt „Pornografie & Holocaust“, kann Sex eine Waffe sein. Ein junger Militärstaatsanwalt der israelischen Armee ist auf einem Flughafen zu sehen, unterwegs nach Deutschland, wo er nichtjüdische Frauen kennenlernen möchte. „Ich ficke sie im Namen der sechs Millionen“, lautet seine Kampfparole.

In Berlin im Moviemento

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