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Dokumentarfilm: Hundert Hände gegen einen Tanker

Von Bangladesch nach Berlin und zurück: Filmemacher Shaheen Dill-Riaz und seine Doku "Eisenfresser".

Es gab immer wieder neue Kandidaten. Doch 1999 hatten britische Forscher festgestellt, dass die glücklichsten Menschen der Welt offenbar ausgerechnet in einem Land leben, das dem durchschnittlich informierten Deutschen nur durch Wirbelstürme und Überschwemmungen ein Begriff war: Bangladesch. Armut macht wohl doch glücklich, dachten viele.

Nachhaltiger irritiert war ein junger bengalischer Filmemacher, der sein Heimatland sieben Jahre zuvor verlassen hatte und in der deutschen Fremde zwar nicht unglücklich, doch auch nicht ganz zufrieden war. War er vielleicht zur falschen Zeit gegangen? Für Shaheen Dill-Riaz Anlass genug, sich ins Flugzeug zu setzen und dem Glück unter den in der Hauptstadt Dhaka zurückgeblieben Freunden und Freundesfreunden nachzuforschen – immer mit Kamera und Mikrofon. Das Ergebnis war drei Jahre später im Fernsehen zu sehen: Ein eindringliches Gruppenporträt aus der bengalischen Millionenstadt, das – trotz Rikscha und Zwangsheirat – den Klischeebildern eindringliche und vielschichtige Einsichten in Lebenswege zwischen Aufstiegsträumen und gescheiterten Illusionen entgegensetzte.

„Die glücklichsten Menschen der Welt“ war eine Produktion des Kleinen Fernsehspiels und lief zu nachtschlafender Zeit im ZDF und auf einigen Filmfestivals. Dill-Riaz’ neuester Film „Eisenfresser“ kommt nun endlich ins „richtige“ Kino, ein großer Moment für den Regisseur. Die 1000 Euro Kinomiete für die Premierenfeier hat er von den Preisgeldern bezahlt, die sein Film auf Festivals in Paris und Katmandu gewann.

Zwei Stündchen hat er sich vor der nächsten Preview-Reise freigenommen, um in einem Café seines Heimatbezirks Prenzlauer Berg über seinen Dokumentarfilm zu sprechen. Er ist selbstbewusst und entspannt, „Eisenfresser“ ist bei Kritik und Premierenpublikum gleichermaßen glänzend angekommen. Kein Wunder, denn das Porträt der Schiffsabwracker von Chittachong überzeugt nicht nur durch die Dichte und Präzision der Beobachtung, sondern auch durch eine Kamera, die mit beeindruckender Sicherheit ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Respekt, Faszination und Nüchternheit findet. Die gigantischen Schiffsbäuche, die auf dem flachen Sandstrand per Hand ausgeweidet werden, verlocken zur Erzeugung kinematografischer Aha- Effekte. Bilder von symbolischer Kraft, die man nicht mehr vergisst.

Doch Dill-Riaz war es wichtig, über der metaphorischen und visuellen Faszination die konkreten Geschichten der Arbeiter ebenso wenig aus dem Blick zu verlieren wie die Strukturen, die sie in die Abhängigkeit bringen. „Ich wollte wissen, wer die Menschen sind, die über Monate für einen Hungerlohn zu uns in den Süden kommen“, sagt der Regisseur, „und in eine Welt eintauchen, die für mich sehr lange verschlossen war“.

Dass der 1969 in Dhaka geborene Shaheen Dill-Riaz ausgerechnet Deutschland als Land seiner cineastischen Erfüllung gewählt hat, ist der deutschen Filmkunst und dem Goethe-Institut in Dhaka zu verdanken, das den jungen Militärschulabsolventen in den achtziger Jahren mit Filmen von Wim Wenders und Werner Herzog zusammenbrachte.

Filme, die in dem damals schon Kinobesessenen nicht nur cineastisches Feuer entzündeten, sondern auch den Wunsch, ihre Sprache zu lernen. Mit einem Goethe-Stipendium kam der junge Mann 1992 nach Berlin, um an der FU Informatik und Kunstgeschichte zu studieren. 1995 begann er ein Studium an der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen – als Kameramann, doch von Anfang an wollte er auch eigene Geschichten erzählen. So hat er schon bei seinem HFF-Abschlussfilm „Sand und Wasser“ 2002 neben der Kamera auch selbst Regie geführt – in einem ebenso präzise wie poetischen Dokumentarfilm über Menschen auf den Inseln der Jamuna-Deltalandschaft, der mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Es ist eine für ein Debüt erstaunlich reife Arbeit, die in ihrer Gelassenheit und Bilderkraft Assoziationen an die Landschaftsporträts des Gespanns Volker Koepp und Thomas Plenert weckt, nur dass hier Kamera und Regie in einer Hand vereint sind.

Mittlerweile lebt der 39-Jährige seit 16 Jahren in Berlin, auch wenn die Dreharbeiten ihn immer wieder aus der Stadt treiben. Denn alle drei Langfilme Dill-Riaz’ sind in Bangladesch angesiedelt – nicht erstaunlich bei einem Filmemacher, dem ein persönliches Verhältnis zu seinen Stoffen ebenso wichtig ist wie eine gewisse perspektivische Distanz. Die ist bei dem fernen Heimatland nahezu perfekt gegeben. Auch bei „Eisenfresser“, scheinbar eher ein Film von abstraktem sozialem Interesse, gibt es einen konkreten biografischen Bezug. Denn Dill-Riaz verbrachte seine Kindheit im mütterlichen Heimatdorf ganz in der Nähe der damals noch jungen Schiffsabwrackwerften von Chittachong und erinnert sich noch gut an das tabubeladene abgeschirmte Gelände als Ort voller Geheimnisse und Mythen.

Nach seinen Dokumentationen plant Dill-Riaz nun auch einen Spielfilm. Drehort ist diesmal Deutschland – noch ist ihm das Land fremd genug, um die nötige Distanz zu bieten. Doch erst einmal sitzt er noch am Schnitt einer weiteren Doku, die wieder in Bangladesch entstanden ist. Das Thema ist höchst aktuell, es geht um Koranschulen für Kinder, die auch schon vor den aktuellen Islamisierungstendenzen eine lange Tradition im Lande haben. Dill-Riaz selbst kommt aus einer säkularisiert muslimischen Mittelstandsfamilie. Dennoch gibt es auch hier wieder einen persönlichen Bezug: Der Vater, ein Bauingenieur, entwirft neben Fabriken eben auch Koranschulen und zwar nur für Gottes Lohn. Schließlich ist es selbst für einen Atheisten befriedigender, Minarette als Fabrikhallen zu zeichnen.

„Eisenfresser“, im Central Hackescher Markt, tgl. 18.30 Uhr; fsk 2, tgl. 20.30 Uhr

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