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"Ferien": Sommergäste

Thomas Arslan beobachtet in "Ferien" kühle Menschen und feiert die Natur.

Ja, sicher: Es geht um Lob und Leid der Familienbande. Es geht ums Aufkeimen und Verwelken von Beziehungen. Es geht um emotionalen Frost zwischen Menschen, die sich nur deshalb nahestehen, weil ihr Geburts- oder Trauschein es so will. Das alles kann und darf man nicht übersehen, wenn in einem Landhaus irgendwo in den Wäldern der Uckermark eine vier Generationen umfassende Familie nach langer Zeit zusammenfindet. Die krebskranke Urgroßmutter; die schwermütige Hausherrin; deren zerstrittene Töchter samt Mann und Kindern – sie alle kommen im lauen ostdeutschen Sommer zusammen, um gemeinsam die Ferien zu verbringen. Doch schon bald legt sich Überdruss wie kühler Morgentau über das Anwesen. Der Ennui eines bittersüßen Nichtstuns verbreitet sich. „Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben“, hat Karl Kraus gesagt – und damit wieder einmal recht gehabt.

Alles wohl beackertes Terrain. Nur: Bei Thomas Arslan sind wir weder in einem Tschechow-Stück noch in einem Bergman-Drama noch in einem Film à la Rudolf Thome. Alle drei sind verwandte Künstler, doch Arslan geht eine entscheidende Nuance anders vor. Wer seinen Willkommens- und Abschiedsfilm daher nur auf Handlung hin betrachtet, sieht höchstens die Hälfte.

„Ferien“ ist, wie so oft bei Arslan, ein minutiös ausgefeiltes Formen- und Stimmungsspiel. Man kennt mittlerweile die Stilmittel: die weitgehend regungslose Kamera, die wie von fern auf das Geschehen blickt; die klaren, oft geometrisch angeordneten Kompositionen; der Vorrang der mise en scène gegenüber der Montage; der Originalton, der häufig aus dem Off kommt; oder auch die wie emotionslos agierenden Schauspieler (darunter Karoline Eichhorn und Angela Winkler, die hier wie eine Wiedergängerin von Susan Sontag wirkt). Wegen dieser formalen Strenge und asketischen Hingabe an eine Regelpoetik drängt sich hier ein Ausdruck auf, der einem im Zusammenhang mit dem Gegenwartskino höchst fremd vorkommt: Thomas Arslans Filme sind klassizistisch.

Gleichzeitig vertritt Arslan ein Kino, das Leidenschaften und Emotionen zurückdrängt und stattdessen Stimmungen vertraut. Sein stiller, hochkonzentrierter, traumhaft schöner Film ist auch – und vor allem – ein berückendes Landschaftsstück, das die Sommertage in gleißende Naturbilder fasst. Hier wogen die rauschenden Bäume in der sanften Sommerbrise. Grillen zirpen, Vögel zwitschern, Schmetterlinge flattern über grüne Sommerwiesen. Als genügte sie sich selbst und vermerkte teilnahmslos das Missvergnügen ihrer Gäste, steht die Natur bei Arslan als lebendiger Kontrast zu den leblosen Großstädtern aus Berlin. Die Natur leuchtet still – die Menschen leiden stumm. Auch wenn die Stadtmenschen zur Erholung aufs Land flüchten, der natürlichen Schönheit und Stille werden sie nicht gerecht. „Wie ruhig das hier ist“, sagt Karoline Eichhorn einmal. Und meint es nicht positiv.

Filmkunst 66, fsk am Oranienplatz

Julian Hanich

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