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gespenster

© senator

Film: Wellen, Wolken, Venedig

Vom Leben träumen: „Nichts als Gespenster“ zelebriert die Erlebnislosigkeit. Regisseur Martin Gypken adaptiert fünf Kurzgeschichten von Judith Hermann.

Radiohead wäre die passende Begleitmusik zum Film „Nichts als Gespenster“. In ihrem Lied „The Bends“ heißt es: „I wish it was the sixties, I wish I could be happy, I wish, I wish I wish something would happen“. In „Nichts als Gespenster“, Martin Gypkens’ Adaption von fünf Kurzgeschichten Judith Hermanns, passiert ebenfalls nichts, und das rund um die Welt: In den USA fahren Ellen (Maria Simon) und Felix (August Diehl) von der Ost- zur Westküste und gehen sich dabei auf die Nerven, in Jamaica warten Nora (Jessica Schwarz) und Christine (Brigitte Hobmeier) auf den angekündigten Hurrikan, in Island verlangt es Jonina (Sólveig Arnarsdóttir) ebenso still wie unerfüllt nach Jonas (Wotan Wilke Möhring), in Venedig besucht Marion (Fritzi Haberlandt) ihre Eltern und weint am Ende, allein in der deutschen Provinz ist etwas mehr los: Da fährt Caro (Karina Plachetka) zu Raoul (Stipe Erceg), den ihre Freundin Ruth (Chiara Schoras) liebt, schläft mit ihm und fährt dann wieder heimwärts.

Gut ist es um keine der Figuren bestellt, so viel steht fest, und erkundigte man sich nach ihrem Befinden,würden sie sich wahrscheinlich eine Zigarette anzünden und sinnend aus dem Fenster schauen. „Sich ein Leben vorstellen“ heißt das Spiel, das Nora und Christine auf Jamaica spielen, in einer der letzten Szenen, als der Hurrikan immer noch nicht gekommen ist und das Glück auch nicht. Nur: Selbst wenn die Ereignislosigkeit so hochkarätig besetzt ist wie hier, will man wirklich sehen, wie vom Leben nichts mehr übrig ist als die bloße Vorstellung davon?

Schon 2003 hat Gypkens in seinem Debüt „Wir“ sinn- und zukunftssuchende Zwanzig- bis Dreißigjährige porträtiert, doch hatte er dabei einen Humor, den sein zweiter Film vermissen lässt. „Nichts als Gespenster“ nimmt all diese Figuren, die hauptberuflich am Leben zu leiden scheinen, furchtbar ernst.

Wie viele andere deutsche Filmemacher hängt Gypkens damit in der Dauerschleife von Befindlichkeitscollagen fest. Dabei steht die saturierte Leere, das ratlose Sichtreibenlassen seiner Figuren durchaus in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang. Doch Gypkens hält sich minutiös an die literarische Vorlage Hermanns – vier Geschichten aus ihrem zweitem Erzählband „Nichts als Gespenster“, eine aus ihrem ersten „Sommerhaus, später“ – und verpasst es, den Episoden so eine über sich selbst hinausweisende Note zu geben. Zugleich gelingt es ihm aber auch nicht, radikal persönlich zu erzählen. Das ist vor allem ein Versagen der Kamera (Eeva Fleig): „Sehen wir uns wieder?“, fragt Raoul Caro, während seine Geliebte Ruth vor ihnen auf der Bühne gerade ein Stück probt. Als Caro ihre Antwort, das grenzüberschreitende „Ja“ formuliert, zeigt die Kamera Caro und Raoul in einer Halbnahen – anstatt die Kamera zum Auge Caros zu machen und Ruth in den Fokus zu nehmen. Caros „Ja“ aus dem Off, während Ruth im Bild ist, hätte die Triade geöffnet, um die es hier im Grunde geht.

Auch die Szenenabfolge trägt nicht dazu bei, dass der Zuschauer in der Seelenlage der Figuren heimisch wird. So beginnt die Geschichte von Joninas Liebessehnen mit einer Einstellung von Jonas, erst danach sieht man Jonina selbst, ganz so, als müsse die Kamera ihre Hauptfigur erst mühsam suchen. Die Bildmontagen, die eine Geschichte zur anderen lenken, sind dagegen überbewusst und grell in ihrer Brachialaussage, wie etwa die Wellen vor Jamaica, die in die Wolken über Island münden.

Die Frage, die sich Gypkens angesichts der Verfilmung von Hermanns Erzählungen gestellt haben muss, klingt ein bisschen wie ein Rätsel der Sphinx: Wie erzähle ich Ereignislosigkeit so, dass das Zuschauen ein Ereignis ist? Bei den Amerikareisenden Ellen und Felix versucht er es so: In der ersten Einstellung sitzen sie im Restaurant und er mosert, in der zweiten sitzen sie im Auto und er mosert, und in der dritten laufen sie durch die Wüste und er mosert. Selbst für einen Film über Ereignislosigkeit und Menschen, deren Suche auf der Stelle tritt, ist das zu viel der Gleichförmigkeit.

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